Swiss Media Forum 2021

Bern, 22.09.2021 - Luzern, 22.09.2021 - Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga am Swiss Media Forum.

Es gilt das gesprochene Wort. 


Sehr geehrte Damen und Herren,

Geschätzte Medienschaffende und Kommunikationsprofis

Ich habe mir lange überlegt, was ich heute anziehen soll. In den letzten Tagen ist die Messlatte ja ständig höher gelegt worden. Zuerst mein Kollege mit dem Trychlerhemd, dann Alexandria Ocasio-Cortez mit dem Tax-the-rich-Kleid.

Ich muss Ihnen offen sagen: Da kann mein Kleiderschrank nicht mithalten.

Doch lassen wir die Modetrends sein und wenden wir uns einem Megatrend in Ihrer Branche zu – und damit meine ich jetzt nicht das Comeback von UKW.

Ich rede von der Plattformisierung.

Immer mehr Leute informieren sich nicht via Zeitungen oder auf den Webseiten der Medienhäuser, sondern via Plattformen wie Facebook.

Das verändert die Spielregeln in Ihrer Branche gewaltig.

Denn die Inhalte, die Sie produzieren, kommen oft nicht mehr von Ihnen zur Bevölkerung, sondern via Plattformen. Man geht auf Instagram oder Facebook – und liest dort einen Artikel der Aargauer Zeitung. Bei den Nutzerinnen und Nutzern entsteht so zunehmend der Eindruck, dass die Plattformen die Inhalte produzieren. Darunter leiden Ihre Marken, und die Leserbindung nimmt ab. Die Leute vergessen, wer eigentlich für die Artikel verantwortlich ist und wem sie eine Recherche verdanken.

Mit dem Aufkommen der Plattformen fliessen die Werbegelder zunehmend nicht mehr zu Ihnen, sondern zu den GAFA, zu Google, Apple, Facebook und Amazon. Money follows attention. Die Folgen kennen Sie: Auch Sie müssen Ihre Inhalte verstärkt auf „attention“ ausrichten. Das gilt vor allem im Online, wo die Werbegelder bekanntlich überhaupt erst zu fliessen beginnen, nachdem ein Klick erfolgt ist. Die Folgen sind klar: Wo weniger Geld vorhanden ist, werden Redaktionen verkleinert und Zeitungen zusammengelegt.

Die Bevölkerung wiederum bezahlt in einer neuen Währung – den persönlichen Daten. Damit bezahlt sie aber vor allem bei den grossen, international ausgerichteten Internetkonzernen. Die Schweizer Medienhäuser können bei dieser Währung nicht mit den GAFA mithalten – auch die Grossen nicht. Ihnen gehören keine Suchmaschinen und auch keine Karten- und Ortungsdienste.

Eine weitere Feststellung: Plattformen kommen neutral daher. Sie sind es aber nicht. Wenige US-amerikanische und chinesische Firmen bestimmen darüber, welche Inhalte man den Schweizer Nutzerinnen und Nutzer auf den Plattformen anzeigt und welche nicht. Wie die traditionellen Medien prägen die Plattformen damit die Wahrnehmung der Welt – nur weiss niemand so genau, nach welchen Kriterien die Plattformen dabei vorgehen.

Wenn wir hier von Algorithmen reden, ist das immer etwas beschönigend. Denn die Algorithmen sind menschengemacht, das heisst: dahinter steht eine Absicht und es werden bestimmte Ziele verfolgt.

Wenn Sie die NZZ oder die WOZ abonnieren oder früher die Tagwacht, dann wissen Sie, von welchem Standpunkt aus die Welt betrachtet wird und Informationen verarbeitet werden. Bei den Plattformen fehlt diese Form von Transparenz. Sie wissen nicht, ob Google eine bestimmte Haltung hat, man weiss nicht welche, und man weiss vor allem nicht, wie man dies herausfinden könnte.

Eine andere Folge der Plattformisierung ist, dass die Wächterrolle der Medien geschwächt wird. In der Vergangenheit war es so: Wollen Politikerinnen und Politiker die breite Bevölkerung erreichen, erreichen sie diese über die Medien. Das bedeutete aber auch: sie mussten kritische Nachfragen in Kauf nehmen, es gab Widerspruch, ihre Botschaft wurde eingeordnet, überprüft, beurteilt, kommentiert. Mit den Plattformen ändert sich dies: Politikerinnen und Politiker sind – wenn sie dies wollen – nicht mehr im selben Mass auf die Medien angewiesen, um die Menschen zu erreichen. 

Der französische Präsident hat auf Twitter 7.2 Millionen Follower. Zum Vergleich: Le Monde hat rund 430‘000 zahlende Abonnenten und erreicht gut 2.4 Millionen Leserinnen und Leser.
Das heisst: Wenn man als Politiker der Auseinandersetzung mit den Medien aus dem Weg gehen und sich direkt an die Bevölkerung richten will, dann geht das heute.

Ich höre Sie jetzt schon murren, dass ja auch ich in den sozialen Medien aktiv bin.

Da haben Sie natürlich Recht.

Allerdings: Ich habe – als spät dazu gestossene – 43'000 Follower auf Twitter. Der Blick hat eine Auflage von über 90‘000 und erreicht mehr als 370‘000 Leserinnen und Leser.
Wenn ich also anfangen würde, auf Interviews und Pressekonferenzen zu verzichten, wäre ich kaum mehr sichtbar.

Die klassischen Medien bleiben daher in der Schweiz wichtig. Ich finde aber auch ihre Rolle wichtig: Sie berichten nicht nur, sondern schauen auch genauer hin und ordnen ein.

Darum ist es noch immer so wie früher: Wenn ich Neuigkeiten habe, gehe ich damit nicht zu Twitter, sondern mache eine Pressekonferenz oder gebe ein Interview.

Ein weiterer Punkt: Die Plattformen sind mächtig. Eine demokratische Kontrolle über sie gibt es aber kaum. Die Plattformen spielen nach ihren eigenen Regeln. Wie viele andere Länder hat auch die Schweiz kaum Mittel, im Alleingang etwas zu machen. Das führt zur paradoxen Situation, dass für eine kleine Regionalzeitung klare Regeln gelten, während die Plattformen für die Behörden kaum greifbar sind.

Natürlich haben Plattformen auch ihre guten Seiten. Sie ermöglichen Austausch und Teilhabe, sie vereinfachen die Kommunikation, sie lösen etwas aus.

Für den Journalismus wird es aber immer schwieriger, sich zu finanzieren. „Das Geschäftsmodell des Journalismus bröckelt. In immer mehr Ländern glauben immer weniger Medienschaffende, dass Journalismus als Geschäftsmodell überhaupt noch funktionieren kann.“ Das wurde vor kurzem am Weltmedienkongross festgestellt.  (Kommerzielles Angebot finanziert durch Abonnemente, Kioskverkäufe und Anzeigen). Denn die Plattformen ziehen Aufmerksamkeit, Werbung und Nutzer ab.

Diese Schwächung der einheimischen Medien kann sich eine direkte Demokratie wie die Schweiz auf die Dauer nicht leisten.

Denn unsere Abstimmungsdemokratie lebt davon, dass Medien vor Ort sind.

Grosse, international ausgerichtete Internetkonzerne können die lokalen Medien nicht ersetzen. Nur wo Medien vor Ort sind, weiss die Bevölkerung, was in der Region läuft. Nur sie berichten über Gemeindeversammlungen oder über Misswirtschaft in der Region.

Nun können weder Sie noch der Bundesrat die Plattformisierung aufhalten.

Das ist auch nicht unsere Aufgabe.

Wir können aber unsere Hausaufgaben machen.

Für mich heisst das: Wir müssen die Voraussetzungen für einen starken und geeinten Medienplatz Schweiz schaffen.

Anders als die Gallier haben wir keinen Zaubertrank. Wir können aber das machen, was uns in der Schweiz immer ausgemacht hat: Wir können zusammenarbeiten.

Ich habe darum vor Kurzem zu einem Mediendialog eingeladen.

Der Mediendialog soll ein Ort sein, um Lösungen zu erarbeiten, die den Medienplatz Schweiz stärken.

Das heisst für mich: Wo Kooperationen sinnvoll sind, sollten wir nach gemeinsamen Lösungen suchen – und zwar auch mit der SRG. Ich bin mir natürlich bewusst, dass Sie alle Konkurrenten sind. Das schliesst eine punktuelle Zusammenarbeit aber nicht aus. Vielleicht gibt es Möglichkeiten für gemeinsame Infrastrukturen, zum Beispiel beim Login.

Vielleicht braucht es aber auch neue Instrumente wie das Leistungsschutzrecht. Ich bin offen. Ich hoffe einfach, wir finden Lösungen, von denen der ganze Medienplatz profitieren kann. Denn wir brauchen Antworten – und zwar rasch.

Beim Kickoff zum Mediendialog hatten wir einen Elefanten im Raum.

Dieser Elefant ist auch heute hier – er trägt den Namen „Medienpaket“. Über das Medienpaket stimmen wir nächstes Jahr ab.

Ich weiss: Einige von Ihnen sind dafür, andere dagegen – und dritte wiederum sind sowohl dafür wie auch dagegen.

Bei allen Differenzen wissen Sie aber alle, worum es geht:
Die Bevölkerung will wissen, was in ihrer Region passiert. Darum unterstützt der Bund Zeitungen und private Lokalradios und das Regionalfernsehen seit Langem. Mit dem Medienpaket wird die Unterstützung nun verstärkt.

Bei einem Ja kann die Bevölkerung in allen Landesteilen weiterhin auf eine vielfältige und unabhängige und Berichterstattung zählen.

Bei einem Nein droht sich die Situation für die unabhängigen Schweizer Medien weiter zu verschärfen. Immer mehr Zeitungen verschwinden, die Meinungsvielfalt nimmt ab. Das Risiko steigt, dass über einzelne Regionen in den Medien kaum mehr berichtet wird. Die Zeche zahlt die Bevölkerung. Ihr wird etwas weggenommen, was ihr sehr wichtig ist: Die Berichterstattung darüber, was in der Region passiert.

Für mich lebt die Schweiz davon, dass alle Regionen gleich wichtig sind. Die Medienvorlage sorgt dafür, dass auch in Zukunft alle Landesteile und Sprachregionen von den Medien abgedeckt werden. Dies geschieht über die Zeitungen und die Onlinemedien, aber auch über die privaten Lokalradios und das Regionalfernsehen.

Darum sieht das Medienpaket zusätzliche Mittel für Privatradios und das Regionalfernsehen vor.

Unser Land ist kleinteilig, und es ist mehrsprachig. Es braucht wenig, und schon ist man in einer anderen Region mit einer anderen Sprache, anderen Traditionen und einem anderen Selbstverständnis. Um diese Vielfalt abzudecken, braucht es eine Vielfalt an Zeitungen und Radios. Sie können nicht vom Engadin aus über das Domleschg berichten, nicht von Sarnen über das Emmental und nicht von Sitten über Montreux. Es braucht Medien vor Ort.
Zudem stärkt das Paket die Unabhängigkeit der Medien. Die Unabhängigkeit der Medien kann nämlich am besten geschützt werden, wenn diese ihren Leserinnen und Nutzern verpflichtet sind – und nicht einem einzelnen Geldgeber. Darum unterstützt das Medienpaket Zeitungen und einheimische Online-Angebote, die von ihrer Leserschaft mitfinanziert werden.

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Sehr geehrte Damen und Herren

Wie Sie alle wissen, gehört es mittlerweile zum guten Ton, dass man über die Medien herzieht.

Ich finde die Medien wichtig, und ich finde die Arbeit, die Sie alle machen, für unser Land zentral.

Das wird man doch noch sagen dürfen.

Im Namen des Bundesrats bedanke ich mich für Ihre Arbeit und überbringe Ihnen die besten Wünsche.


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