30 Jahre MAZ

Bern, 14.03.2014 - Rede von Bundesrätin Doris Leuthard anlässlich der 30-Jahr-Feier der Journalistenschule MAZ und der Verabschiedung der langjährigen MAZ-Direktorin Sylvia Egli von Matt am 13. März 2014 in Luzern

Sehr geehrte Frau Direktorin,
sehr geehrter Herr Regierungsrat Wyss,
sehr geehrter Herr Stadtpräsident Roth,
sehr geehrter Herr Stiftungsrat Rickenbacher,
meine Damen und Herren,

Das MAZ – heute eine Institution, der ich herzlich zum 30. Geburtstag gratuliere. Herzliche Gratulation auch an Sylvia Egli von Matt. Frau Egli, Sie haben das MAZ massgeblich geprägt. Sie waren Aushängeschild und prägende Figur in einer sich stetig wandelnden Medienlandschaft. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.

Als echte News-Frau, die

  • von Radio-News geweckt wird,
  • Tageszeitungen beim ersten Kaffee geniesst und
  • den letzten Blick vor dem Einschlafen auf die News- App wirft,

haben sie früh gemerkt, dass verschiedene Facetten des Journalismus immer mehr verschmelzen, dass sehr unterschiedliche Anforderungen aufeinander treffen. Sie haben vorausschauend die Journalisten-Ausbildung den Gegebenheiten angepasst und sich dabei auch nicht gescheut, heisse Eisen anzupacken. Sylvia Egli von Matt, während eines Lehrgangs selber vom MAZ-Virus gepackt, konnte zusammen mit dem MAZ vielen jungen Menschen zu einer guten Basis für ihren Traumberuf verhelfen.

Ein Traumberuf in einer Branche, in der das Ende des Strukturwandels nicht absehbar ist und viele Fragen offen sind. Der technische Strukturwandel wird rasant weitergehen. Heute ist das World-Wide-Web mit all seinen technischen Möglichkeiten der Taktgeber. Die technischen Möglichkeiten erlauben nicht zuletzt einen ganz anderen, neuen und ungewohnten Umgang mit Informationen.

Die Menschen informieren sich jederzeit, überall und immer mehr digital. Sie picken jene Nachrichten-Häppchen heraus, die in ihr eigenes Weltbild passen und ihre Interessen abdecken. Die Informationsbedürfnisse sind sehr unterschiedlich, ebenso was man konsumiert und mit welchen technischen Hilfsmitteln.

Dass dieser Strukturwandel sich massiv auf die Verlagshäuser, auf Medienunternehmen auswirkt, liegt auf der Hand und stellt diese vor grosse Herausforderungen. Der Kostendruck ist gross und ich im UVEK spüre das natürlich, wenn es etwa um Fragen der Werbung der SRG geht. Bislang hat man vor allem mit Verkäufen und Zukäufen reagiert, um Synergien zu gewinnen, Kosten zu senken. Erstaunlich wenig hat die Branche mit Innovationsleistungen reagiert.

Strukturwandel – davon sind, beziehungsweise waren ja schon etliche Branchen betroffen. Zumeist reagiert man nebst Kostensenkungen auch mit erhöhten Investitionen in Forschung und Entwicklung und damit in Innovation. Das ist in der Medienbranche anders, wie auch Studien bestätigen. Sie nutzen die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten etwa der KTI nicht beziehungsweise fast nicht. Das erstaunt mich!

Wir erleben eine Ökonomisierung der Pressetitel. Wie in vielen Bereichen fördern Finanzierungsprobleme Konzentrationsprozesse. Ein Journalist schreibt – crossmedia – für verschiedene miteinander verbundene Medien. Das führt einerseits zu Zeitungssterben, andererseits zu vereinheitlichten Informationen und Meinungen, mainstream und nicht differenziert. Die ökonomische Konzentration führt daher oft auch zu einer publizistischen Konzentration und das ist für unsere Demokratie nicht wünschenswert, ja gar gefährlich.

Im Rahmen unserer Arbeiten an möglichen künftigen Instrumenten zur Medienförderung, hat die Universität Zürich festgestellt, dass es echten unternehmerischen und damit publizistischen Wettbewerb heute nur noch in den Kantonen Zürich und Tessin gibt. In 7 Kantonen gibt es noch eine Tageszeitung. 9 Kantone haben gar keine eigene Tageszeitung mehr. Und die regionalen Wochenzeitungen – früher für viele Bezirke unverzichtbar – stehen unter dem kaufmännischen Druck der Tageszeitungen, der Pendlerzeitungen und der Gratisanzeiger. Zudem berücksichtigen diese oft die blosse Information als die Kommentierung oder kritische Begleitung von Ereignissen.

Dieser Strukturwandel verändert den Journalismus und ist eine Herausforderung für die journalistische Qualität. Um so wichtiger ist die Aufgabe des MAZ: Qualität im Journalismus muss die Norm bleiben! Das Handwerk muss gelernt sein und ist unverzichtbar, egal wo man in welchem Medium seine publizistische Leistung platzieren will. Das MAZ arbeitet an der Zukunft – ich freue mich, dass man sich schon heute an moderne Berufsfelder in Richtung Social(media), Online, News und Rhetorik gewagt hat.

Qualität muss überall der Massstab sein. Qualität heisst nicht: Es muss möglichst vielen Konsumenten gefallen! Qualität heisst nicht: Gefälligkeitsjournalismus! Qualität heisst: korrekte Fakten in einem korrekten Gesamtkontext. Qualität heisst: Informationen einem kritischen Gegencheck unterziehen.

Heute stellt sich mir die Frage, ob die Medien diesen Auftrag noch wahrnehmen – können und wollen, ob Journalisten überhaupt Zeit und Möglichkeiten haben, das gelernte Handwerk so auszuüben.

Unsere Verfassung gewährleistet die Medienfreiheit und verbietet die Zensur. Wie gut und wichtig das ist, können wir alle immer wieder feststellen, sei es im Rahmen eines arabischen Frühlings oder jetzt bei der Krim-Krise. Unsere Verfassung gewährleistet aber auch die Meinungs- und Informationsfreiheit des Bürgers. Zur Ausübung seiner politischen Rechte ist er auf Zugang zu Informationen angewiesen. Eine lebendige Demokratie ist daher essentiell angewiesen auf breite, unabhängige Vermittlungsleistungen der Informationsmedien, sei es Presse, Radio, TV oder Internet/Online.

Ohne diese Vermittlungsleistung entsteht keine Öffentlichkeit, entsteht für den Bürger keine Möglichkeit, dass fortlaufend Themen aufgegriffen, Meinungen gebildet werden und damit Debatten entstehen können. Das aber ist für dem demokratischen Meinungsbildungsprozess unverzichtbar. Wir benötigen einen Pluralismus an publizistischen Leistungen für das demokratische Gemeinwesen, für das Erkennen von Problemen und den Meinungsstreit, für die Legitimation und die Kontrolle von Macht wie auch für die Integration und Kohäsion unserer Gesellschaft.

Reisserische Schlagzeilen lenken von den Fakten ab. Aber genau über diese Fakten müssen die Bürgerinnen und Bürger informiert sein, wenn sie an der Urne entscheiden. Nur noch Kurzhäppchen am Morgen und am Abend in Gratisblättern ist der Demokratie letztlich abträglich. Denn durch diese Verknappung von Information entsteht Halbwissen. Aus Halbwissen werden oft Vorurteile.

Auf den Agenden vieler Boulevard- und Gratiszeitungen dominieren Sport und People Geschichten. Prinzenhochzeiten, Unfälle und Skandale sind sexier als eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt einer Abstimmungsvorlage. Forschungen haben gezeigt, dass etwa die Parlamentswahlen auf den Frontseiten lediglich Platz 29 einnahmen.

Das, meine Damen und Herren, macht mir Sorgen. Ich glaube an die Demokratie, ich möchte aufgeklärte, gut informierte, kritische Bürgerinnen und Bürger. Ich möchte bissige Medien, welche den Finger auf wunde Punkte legen und unserer Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Aber genau das bedingt publizistische Leistungen von hoher Qualität und in genügendem Ausmass.

An sich sollte die Ausbildung heute ja besser sein, das journalistische Handwerk präziser und auf die verschiedenen Formen von Journalismus ausgelegt. Ich persönlich bin auch überzeugt, dass die Ausbildung top ist und ich gehöre auch nicht zu denen, welche von einem Qualitätsproblem reden.

Liegt es also an den Verlagen, an den Chefredaktionen, welche zu wenig Zeit für die Recherche belassen; welche Druck ausüben auf ihre Angestellten, reisserische Geschichten zu liefern, auf Personen zu zielen? Liegt es daran, dass ein Journalist unter Zeitdruck oft eine ganze Palette von Themen abdecken muss und sich nicht spezialisieren kann? Wo bleibt das historische Gewissen, das Verfolgen von Entwicklungen, warum haben wir immer weniger Fachjournalistinnen?

Der Bundesrat hat aus diesen Sorgen und Feststellungen heraus den Auftrag, ein Förderkonzept zur Stärkung der staats- und demokratiepolitischen Funktion der Medien zu erarbeiten. Wir denken über eine Plattform-offene Förderung nach, die sich nicht auf ein bestimmtes Produkt bezieht – Print, Radio, TV oder Internet.

Es gibt Ideen, auch innerhalb der neu geschaffenen Medienkommission, die Nachrichtenagentur SDA stärker zu unterstützen. Sie wäre so in der Lage, Informationen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft umfassend und eingebettet darzustellen. Das wiederum könnte für Verlage und Redaktionen Freiräume schaffen und daneben eigene publizistische Leistungen fördern. Das könnte somit für Journalisten mehr Raum und Zeit für ihre Anliegen und ihre Recherchen bedeuten. Uns ist es nämlich nicht wichtig, wo sich die Menschen informieren. Uns ist es wichtig, dass unsere Informationen zum Bürger kommen.

Denkbar ist schliesslich eine Aufstockung des Kredits für die Aus- und Weiterbildung. Die Fördermittel des Bundes liegen insgesamt bei über 1,4 Mia. – also ein doch hoher Betrag. Aber vielleicht ist ein Teil davon nach den heutigen Bedürfnissen des Staates und seiner Bürger anders zu verteilen.

Journalismus ist ein schöner, spannender Beruf, wenn Journalistinnen und Journalisten…

  • über die Ausdauer eines Marathonläufers bei der Recherche verfügen
  • ihre Chefs sich in der Gnade der Geduld und in Qualitätssicherung üben
  • und die Verleger die nötige Rückendeckung, vor allem die finanzielle Unabhängigkeit bieten.

Dem MAZ und dem neuen Direktor Diego Yanez wünsche ich wache, motivierte Studierende mit dem Anspruch das Handwerk in höchster Qualität zu erlernen und einen inspirierenden Austausch – auch in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

Sylvia Egli von Matt wünsche ich für den nächsten Lebensabschnitt nur das Beste.
Ich zähle darauf, dass sie uns weiterhin inspirierend und kritisch begleiten.


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