100 Jahre Axpo

Bern, 23.08.2014 - Ansprache von Bundesrätin Doris Leuthard 23.08.2014, Linthal

Sehr geehrter Herr Verwaltungsratspräsident,

sehr geehrter Herr Direktor,

sehr geehrte Damen und Herren Regierungsräte,

geschätzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AXPO,

liebe Gäste

Gerne überbringe ich Ihnen im Namen des Bundesrats zu diesem 100-Jahr-Jubiläum die besten Glückwünsche.

Ich freue mich, dass der Aargau vor 100 Jahren Pate gestanden ist. Denn in Baden haben sich Aargauer, Glarner, Züricher, Schaffhauser, Thurgauer und Zuger zur NOK zusammengeschlossen. Später sind dann noch die beiden Appenzell und St. Gallen hinzu gekommen.

Was können wir aus dieser Geschichte lernen?

  1. Die Faszination der Technik, der Glaube an das Machbare. Bis etwa 1910 wies die Schweiz - neben den USA - die höchste Stromproduktion pro Einwohner auf. Die technische Entwicklung wird uns auch in den nächsten Jahrzehnten helfen, die Herausforderung einer sicheren und wirtschaftlichen Versorgung zu bewältigen.
  2. Der politische Wille, die Schweiz grossflächig mit Strom zu versorgen. Schaltkästen in Kraftwerken wurden damals als „Altäre", Strom als „ewiges Licht" glorifiziert. Auch wenn wir ein grosser Energieimporteur bleiben und das auch im Strombereich seit einigen Jahren im Winter sind, macht es Sinn, weiterhin auch in der Schweiz zu investieren.

Lange Jahre waren Energiepolitik und -wirtschaft ein ruhiges Business. Eine stabile Marktlage mit einer steten Zunahme von Verbrauch und Verkauf. Eine sichere Rentabilität. Die optimale strategische Lage der Schweiz als Stromdrehscheibe im Zentrum Europas. Eine voraussehbare technische Entwicklung.

Heute sieht die Lage komplett anders aus:

  • Statt einer befürchteten Lücke haben wir Überkapazitäten beim Strom.
  • Statt steigender haben wir fallende Preise.
  • Statt neuer Kernkraftwerke haben wir einen Boom bei Gas und erneuerbaren Energien.
  • Statt Gleichmässigkeit haben wir Volatilität, Preisschwankungen und neue Marktmodelle.
  • Statt einer nationalen haben wir eine europäische, ja eine internationale Entwicklung, welche uns stark beeinflusst.

Wir alle haben gewisse Entwicklungen unterschätzt. So sprechen etwa die Stromperspektiven 2020, welche die AXPO vor 10 Jahren publiziert hat, von Annahmen, die heute falsch und überholt sind.

Stromwirtschaft und Politik müssen den Kompass neu einstellen und wir sehen uns mit unterschiedlichen, teils sehr gegensätzlichen Ansichten konfrontiert:

  • Die einen wollen Stromeffizienz in der Verfassung verankern oder mit hohen Lenkungsabgaben operieren.
  • Die andern wollen am liebsten sofort aus der Kernenergie aussteigen.
  • Dritte wiederum möchten an der Kernenergie festhalten und übersehen dabei, dass neue Kernkraftwerke nicht zwingend günstigen Strom liefern könnten.

In diesem Umfeld lässt sich das Rad nicht zurückdrehen. Und ein Stück weit muss sich auch die AXPO neu erfinden. Die Axpo und alle anderen Energieversorger tun gut daran, sich neu auszurichten - als Dienstleister, als Logistiker, als Förderer der Energieeffizienz. Veränderungen hat niemand gern.

Ich bin aber überzeugt: Das wird Ihnen gelingen. Denn die AXPO hat in den letzten 100 Jahren Esprit und Euphorie gepflegt. Sie haben das Know-how. Sie haben ein staatliches Aktionariat, das an langfristigen Investitionen interessiert ist. Und - Sie haben bereits diversifiziert und sind international aktiv.

Dazu nur zwei Beispiele:

  1. Das Engagement der Axpo bei der Pipeline für Erdgas aus dem kaspischen Raum über die Türkei nach Westeuropa. Das Trans-Adriatic-Pipeline-Projekt ist für Europa visionär und wichtig. Hier hat die Axpo Dampf gemacht. Das verdient Anerkennung und Dank.
  2. Das Riesenprojekt, das neue Pumpspeicherwerk Linth-Limmern. Es freute mich kürzlich zu lesen, dass der CEO der AXPO Rentabilitätserwartungen positiv beurteilt.

Axpo hat über all die Jahre bewiesen: Grosse Bau- und Infrastrukturvorhaben funktionieren, wenn man die Bevölkerung einbezieht und Lösungen sucht, die alle Bedürfnisse abdecken. Wenn Betroffene nicht nur Betroffene sind, sondern zu Beteiligten werden und am Ganzen mitwirken, dann steht am Ende der Erfolg. Dieser Prozess ist aufwändig - aber er lohnt sich. Diese Gesprächskultur, die Mitsprache der Bürger, die direkte Demokratie - das ist Teil der Schweiz. Wir fahren gut damit.

Der Bundesrat will mit der Energiestrategie 2050 die vorhandenen Energieeffizienzpotenziale konsequent nutzen; vor allem im Bereich Mobilität, wo 35% unseres Energieverbrauchs anfallen und der zu 95% von fossilen Energieträgern abhängig ist, und im Bereich Wärme/Gebäude. Das vorhandene Potenzial der neuen erneuerbaren Energien und der Wasserkraft auszuschöpfen ist richtig, aber es braucht Zeit und vorderhand noch eine Förderung. Bei den neuen erneuerbaren Energien rechnen wir mit einer Produktionssteigerung von 2‘000 GWh im Jahre 2012 auf 4‘400 GWh im Jahre 2020; bei der Wasserkraft von 2012 bis 2035 mit einer Steigerung von 35‘400 GWh auf 37‘400 GWh.

Heute haben wir mit den Wasserkraftanlagen zwei Probleme:

  • Die mangelnde Rentabilität bestehender Wasserkraftwerke wird beklagt. Es fehle der Anreiz, heute in neue Wasserkraftanlagen zu investieren.
  • Das Bundesamt für Energie hat auf Wunsch der nationalrätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie eine Analyse zur Rentabilität bestehender Anlagen durchgeführt. Die Auswertung der vorhandenen Daten hat gezeigt, dass im Durchschnitt erstens ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen möglich ist und dass zweitens 2/3 der analysierten Anlagen im Bereich des Preises für Spitzenenergie an der Swissix liegen (2013) - d.h. mit Gestehungskosten unter 6 Rappen. Wir haben also nicht ein generelles Problem der bestehenden Anlagen, sondern allenfalls im Einzelfall.
  • Berechtigt ist die Frage nach möglichen Instrumenten, um die Anreize zum Neubau von Wasserkraftanlagen zu erhöhen. Auch hier diskutiert die Kommission derzeit mögliche Lösungswege.

Zu bedenken ist: Um ein Wasserkraftwerk in die Wirtschaftlichkeit zu führen, steht in der Schweiz eine beschränkte Anzahl von Instrumenten zur Verfügung. Klar ist: Die Kapitalkosten und Wasserzinsen stellen grosse Kostenblöcke dar. Aber eben auch die strukturbedingten Overheadkosten sind nicht zu vergessen. Allgemeingültige Patentlösungen gibt es keine. Und den Subventionstopf im grossen Stil anzuwerfen, ist keine nachhaltige Lösung.

Auf die Stromproduktion aus unseren Wasserkraftwerken sind wir angewiesen. Deswegen ist auch die Diskussion zur Situation der Wasserkraft richtig und wichtig.

Dabei soll nicht jedes noch so kleine Gewässer verbaut werden. Wo ein Ausbau nichts bringt, sollen keine Eingriffe stattfinden. Zwischen Schutz und Nutzen ist ein vernünftiger Weg einzuschlagen, ebenso zwischen Produktion zu teureren Konditionen im Inland und Importen aus Europa.

Deswegen ist der Entscheid für Linthal 2015 richtig, um die Strom-Produktion zu steuern und die Speicherfähigkeit der „Batterie Schweiz" zu verbessern. Es ist ein Riesenprojekt. Es leistet einen grossen Beitrag. Es ist zukunftsgerichtet.

Der Schweizer Strommarkt wird dabei zweifelsfrei durch die Marktsituation auf dem europäischen Kontinent geprägt. Die Gewinnchancen der Stromproduzenten schmelzen. Das bisherige Geschäftsmodell des Verkaufs von Spitzenstrom muss angepasst werden. Daher werden Investitionsentscheide im Schweizer Strommarkt heute zweimal überlegt.

Wir müssen im Bereich Strom und Energie mit Europa zusammenarbeiten. Für unsere Versorgungssicherheit, aber auch um unsere Stärken optimal zu positionieren. Zwar wird von rechts und links Autarkie und eine Abkoppelung von Europa propagiert. Das würde uns volkswirtschaftlich teuer zu stehen kommen. Die Axpo (d.h. früher EGL) zeigt, dass man mit kluger Strategie im europäischen Umfeld Geld verdienen kann. Sie haben sich mit Fachwissen im Bereich Handel und Vertrieb in Europa gut positioniert. Das ist nur möglich, wenn wir auch die Rahmenbedingungen der Partnerländer (EU-Richtlinien) verstehen und akzeptieren.

Genau mit dieser europäischen Partnerschaft ist es heute so eine Sache: Seit sieben Jahren stehen wir in Verhandlungen mit der EU zu einem Stromabkommen. Die Schweiz steht unter einem gewissen Zeitdruck, da die Vollendung des EU-Strombinnenmarkts 2015 geplant ist. Vollendung heisst in erster Linie einen effizienten grenzüberschreitenden Stromhandel. Die Marktakteure befürworten eine Teilnahme der Schweiz. Denn der Stromhandel mit der Schweiz ist bereits sehr rege. Zudem ist unsere flexible Wasserkraft zum Ausgleich von volatilem Wind- und Solarstrom vor allem in Deutschland nötig. Allerdings hat die EU-Kommission verlauten lassen, dass eine Marktkopplung der Schweiz ohne Stromabkommen nicht möglich sei.

Und hier wird es kompliziert: Die EU will einen Marktzugang erst mit dem Abschluss eines institutionellen Abkommens ermöglichen.

Wichtig für die Stromverhandlungen wird aber auch die vollständige Strommarktöffnung in der Schweiz. Die Gesetzesanpassungen sind in meinem Departement für den Herbst in Vorbereitung, sodass eine vollständige Marktöffnung ab 2018 möglich wäre.

Die geplante Liberalisierung des Schweizer Strommarkts macht es notwendig, dass sich die Eigentümer der Axpo überlegen, wo sie künftig noch präsent sein wollen. Netze sind Monopole, alles andere ist Wettbewerb. Wollen sich die Kantone in diesen Bereichen langfristig bewegen, ist das mit Chancen, aber auch mit Risiken verbunden. Sie haben einen gut geführten Verwaltungsrat - daher bin ich sicher, dass Sie auch darauf eine weitsichtige Antwort finden werden.

Meine Damen und Herren, ein Blick in die Axpo-Geschichte zeigt, wie sich Situationen ändern. Wir tun deshalb gut daran, uns zu fragen:

  • Wo können und müssen wir unser Umfeld beeinflussen - zu unseren Gunsten selbstverständlich?
  • Wo kann sich die Schweiz mit ihren Stärken positionieren - wo sogar besser sein?
  • Wo können wir Zukunft bauen?

AXPO hat in den letzten 100 Jahren, aber auch in jüngster Zeit mit Linthal 2015 gezeigt, wie man sich positioniert. So feiern wir heute die Axpo als Vorbild...

  • für eine zuverlässige Energieversorgung
  • und für ein gelungenes Miteinander von Mensch und Natur.

Ich spreche allen Beteiligten meine Anerkennung für diese hundertjährige Erfolgsgeschichte aus. Ich danke Ihnen für das Geleistete der vergangenen und für die Leistungen der kommenden Jahre.


Adresse für Rückfragen

Kommunikation UVEK, Tel. +41 58 462 55 11


Herausgeber

Generalsekretariat UVEK
https://www.uvek.admin.ch/uvek/de/home.html

https://www.uvek.admin.ch/content/uvek/de/home/uvek/medien/medienmitteilungen.msg-id-54177.html