Erfolgsgeschichte weiterführen

Bern, 15.10.2015 - Rede von Bundesrätin Doris Leuthard am Forum der Luft- und Raumfahrt, 15.10.2015, Verkehrshaus Luzern

Sehr geehrter Herr Moreillon

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrter Herr Direktor

Sehr geehrte Damen und Herren                        

Herzliche Gratulation Herrn Borschberg und Herrn Piccard!   

Wir sind stolz auf Sie - auf Ihren Pioniergeist, Ihren Mut und Ihre Leistung.

Wir fiebern mit, wenn „Solar Impulse" in den Lüften ist - und wir leiden mit, wenn es nicht ganz rund läuft. Manchmal führt ja aber grad das zu einer neuen, innovativen Lösung. Mit Ihrem Enthusiasmus knüpfen Sie an frühere Schweizer Luftfahrtpioniere an - z.B. an die Gebrüder Henri und Armand Dufaux, die mit der hier im Verkehrshaus ausgestellten Maschine 1910 den Genfersee der Länge nach überquerten. Oder an Walter Mittelholzer, der später als erster Direktor der neu gegründeten Swissair amtete, die ja ebenso vom Schweizer Pioniergeist zeugt.

Pioniergeist, Mut und tolle Leistungen - das gibt es heute immer noch. Fliegen ist inzwischen aber alltäglich, ist viel einfacher und erschwinglicher geworden. Ob für einen Fussballmatch nach London, fürs Weihnachtsshopping nach New York oder für die Ferien ans Mittelmeer: Rasch ist ein Angebot gefunden, der Flug gebucht. Was früher etwas ganz Besonderes war, ist heute eine Selbstverständlichkeit. Vorbei der Glanz und Glamour, vorbei der Stolz, den die Fliegerei lang ausmachte.

Fliegen wird heute - und das muss uns zu denken geben - oft sogar nur noch als Problem empfunden. Es dominieren Diskussionen über Lärm, Pistenkonzepte- und bauten. Diese sind zweifellos nötig und berechtigt. Wer die Luftfahrt aber nur noch aus diesem Blickwinkel beurteilt, wird ihrer Bedeutung nicht gerecht.

Denn die Luftfahrt ist für unsere Bevölkerung und Wirtschaft und damit für unser Land absolut zentral:

  • Sie verbindet uns mit den wichtigsten Zentren der Welt: Unsere Anbindung wird laufend verbessert: Seit 2008 nahm die Zahl der regelmässig bedienten Destinationen ab Zürich, Genf und Basel jeweils um 25 Prozent zu. Wir sind dank der Luftfahrt sehr gut vernetzt.
  • Sie transportiert immer mehr Personen und Güter: Auf jeden Einwohner entfallen heute 1,4 Flugreisen. Auf den Landesflughäfen stieg die Anzahl Passagiere in den letzten 10 Jahren um über 60 Prozent. Bei den Gütern werden gemessen am Warenwert inzwischen 43 Prozent der gesamten Schweizer Exporte per Luftfracht befördert. Das wird oft verkannt. Die mitfliegende Fracht hilft, Langstreckenverbindungen rentabel zu betreiben.
  • Sie ist für unsere Volkswirtschaft, für die Schweiz als Export- und Tourismusland, ein zentraler Standortfaktor. Sie trägt dazu bei, dass die Schweiz in den internationalen Rankings regelmässig Spitzenplätze belegt.
  • Sie sorgt für Arbeit und Wohlstand: Rund 140‘000 Arbeitsplätze und eine Wertschöpfung von 24,5 Mia. Franken hängen damit zusammen.

All dies zeigt: Die Luftfahrt ist ein wichtiger Verkehrsträger der Schweiz. Wir müssen ihr ebenso Sorge tragen wie dem Schienen - und Strassennetz.

Das ist umso mehr angezeigt, als sich der Markt rasant verändert:

  • In Dubai, Abu Dhabi, Katar und in der Türkei geht die Post ab: Die Airlines aus den Golfstaaten und der Türkei überschwemmen den Markt mit ihren Angeboten und heizen damit den Preiskampf an: Das freut die Passagiere, bedrängt aber die europäischen Airlines und gefährdet das Drehkreuz Zürich, wenn die Transferpassagiere zu anderen Hubs abwandern.
  • Flughafennahe Betriebe geraten ebenfalls unter Druck, ist das Sparpotenzial doch beschränkt. Der Flugzeugunterhalt ist arbeitsintensiv, orientiert sich an fest reglementierten Vorschriften und ist bis auf häufige wiederkehrende Wartungsaufgaben kaum an einen bestimmten Standort gebunden.

Man kann sich über die industriepolitisch geförderte Expansion der neuen Akteure ärgern und sie verurteilen, man mag dies beklagen. Es ändert aber nichts daran, dass wir uns auf die neue Situation einstellen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen müssen.

Wir können uns dabei an folgenden Thesen orientieren.

These 1: Wir müssen unserer Luftfahrt wieder grösseres Augenmerk schenken und zu einem nationalen Thema machen.

  • Der Linien- und Charterverkehr wird bei uns seit bald 40 Jahren auf unveränderten Pisten abgewickelt. Die meisten sind sich dessen aber gar nicht bewusst. Diese Pistensituation führt dazu, dass sowohl der Flughafen Zürich als auch der Flughafen Genf in Spitzenzeiten an Kapazitätsgrenzen stossen. Entsprechend komplex ist heute der Betrieb. Entsprechend schwierig, Verspätungen zu vermeiden. Darunter leidet die Pünktlichkeit.

These 2: Wir müssen die Luftfahrtinfrastruktur verbessern.

  • Wie bei Schiene und Strasse muss es auch für die Luftfahrt möglich sein, die Infrastruktur weiterzuentwickeln. Wir müssen die Pisten optimieren, um die beschränkten Flächen möglichst klug zu nutzen. Sonst werden wir abgehängt. Denn nicht nur die Golfstaaten und die Türkei, auch unsere Nachbarländer wappnen sich für die Zukunft: Frankfurt, München, Wien und Brüssel bauen ihre Luftverkehrsstandorte aus.
  • Lärm- und Umweltschutz sind wichtig, wir nehmen dies sehr ernst. Es darf aber nicht sein, dass entsprechende Auflagen zu ungebührlichen Einbussen bei der Sicherheit und den Kapazitäten führen. Die Schweizer Flughäfen bewegen sich sowohl bei den Betriebszeiten als auch den Lärm- und Umweltauflagen bereits in einem engen Korsett. Wir dürfen es nicht noch enger schnüren, wenn wir Verschlechterungen vermeiden wollen.
  • Vergessen wir nicht: Dank technologischer Fortschritte, dank leiseren Flugzeugen konnte z.B. am Flughafen Zürich der Tageslärm seit 1987 um 2/3 gesenkt werden. Auch der Treibstoffverbrauch ging markant zurück. Das sind grosse Fortschritte, dank Innovation und neuen Technologien. Die Flieger sind heute viel effizienter und weniger laut. Die Branche, Projekte wie Solar Impulse, treiben diese Entwicklung weiter voran.

These 3: Wir müssen genug Gestaltungsspielraum schaffen.

  • Verkehrsinfrastrukturen bedingen eine langfristig ausgerichtete Planung. Das ist bei Schiene und Strasse so - und das ist in der Luftfahrt nicht anders. Es ist darum wichtig, dass wir für sie die raumplanerisch nötigen Reserven sichern.
  • Der Bund ist sich dieser Verantwortung bewusst. Wir haben darum z.B. die Grundlagen geschaffen, um den Militärflugplatz Dübendorf auch als ziviles Flugfeld zu nutzen und die grösste verbleibende Landreserve des Bundes für kommende Generationen zu erhalten. Wir haben weiter den Zürcher Richtplan so angepasst, dass am Flughafen Zürich eine Verlängerung der Pisten 28 und 32 möglich bleibt. Ob das passiert, ist eine andere Frage. Damit hat der Bund einen Entscheid des Kantonsrats umgestossen. Solche Konfrontationen suchen wir nicht. Wir sind aber überzeugt, dass der Entscheid im Interesse der Sache ist. Um den nötigen Spielraum zu wahren, engagiert sich der Bund auch in Basel, damit am Flughafen z.B. nicht nur französisches Steuerrecht gilt.

These 4: Alle sind gefordert, ihre Verantwortung wahrzunehmen.

  • Wir wollen eine gute Infrastruktur für die Luftfahrt.
  • Wir wollen attraktive Verbindungen und die Drehkreuzfunktion erhalten.
  • Wir wollen einen starken Home-Carrier für unser Land.

Dazu braucht es das Zusammenspiel aller - und das Bewusstsein dafür.

Damit kommen wir zu den Rollen von Bund und Standortkantonen.

Gemäss Art. 87 der Bundesverfassung ist die Luftfahrt zwar Sache des Bundes. Die Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes, das BAZL, kann aber nur indirekt auf die Landesflughäfen und andere Flugplätze Einfluss nehmen.

Der Bund schafft die planerischen Voraussetzungen, damit sich die Flughäfen entwickeln und auf einem hohen Sicherheitsstandard operieren können. Er überlässt es aber grundsätzlich den Kantonen und den Flughäfen, wie weit sie diesen Spielraum ausnützen wollen.

  • Der Bund kann in der Sachplanung Vorgaben machen, doch erfordert die Umsetzung jeweils ein Gesuch des Flughafens. Dabei haben sowohl in Genf als auch in Zürich die Kantone entscheidende Mitwirkungsmöglichkeiten.
  • Über wichtige Weichenstellungen der Landesflughäfen entscheiden oft zudem kantonale Parlamente, entscheidet die kantonale Stimmbevölkerung.
  • Infrastrukturplanung aus einem Guss, wie sie der Bund etwa für die Bahn oder Nationalstrassen betreibt, ist für ihn in der Luftfahrt heute daher gar nicht möglich.

Es ist darum falsch zu erwarten, der Bund könne die für die Luftfahrt nötigen Massnahmen allein veranlassen - wie ein Monarch im Aviatik-Königreich Helvetien. Diese Illusion muss ich Ihnen nehmen, widerspricht dies doch unserem Staatsverständnis und unseren demokratischen Gepflogenheiten.

Angesichts der historisch gewachsenen Rolle der Standortkantone und der Wichtigkeit, welche die Akzeptanz der Flughäfen bei der Bevölkerung vor Ort hat, kann und wird der Bund die Kantone nicht leichtfertig übersteuern.

Vergessen wir in diesem Zusammenhang auch nicht:

Der Bund ist weder Besitzer noch Operateur der Landesflughäfen. Für deren Ausrichtung sind die Vertreter der entsprechenden Unternehmen zuständig. Sie bestimmen die Strategie, sie sind gehalten, sich zu positionieren, sich in die Debatten einzubringen und die für ihre Anliegen nötige Akzeptanz zu schaffen.

Alle sind gefordert, Verantwortung zu tragen - Sie ebenso wie der Bund.

Angesichts des beschränkten Handlungsspielraums, den der Bund heute hat, suchen wir natürlich nach Lösungen.

Mit dem Luftfahrtpolitischen Bericht von 2004 haben wir eine erste Auslegeordnung gemacht. Da sich das Umfeld seither stark verändert hat, erstellen wir nun einen neuen Bericht. In diesem Zusammenhang prüfen wir unter anderem, ob aufgrund der überregionalen Bedeutung der Landesflughäfen in den Sachplänen zu den Landesflughäfen verbindliche Leistungs- und Kapazitätsziele formuliert werden sollen und neu die Bundesversammlung richtungsweisende Entscheide fällen können soll. Es lohnt sich, das Für und Wider solcher Ansätze offen und in aller Sorgfalt zu diskutieren. Was nicht geht, ist die heisse Kartoffel einfach dem Bund zu geben und sich hinter ihm zu verstecken.

Verschiedene Akteure der Luftfahrt haben sich im Rahmen der Anhörung bereits zum Bericht geäussert - teils wohlwollend, teils auch sehr kritisch. Wir werten die Rückmeldungen nun aus. Der Bundesrat wird den Bericht voraussichtlich gegen Ende Jahr, Anfang nächsten Jahres verabschieden. Danach kann das Parlament darüber debattieren - und weitere Schritte einleiten.

Nutzen Sie den Bericht für eine breite Diskussion!

Wir müssen das Bewusstsein für die Bedeutung der Luftfahrt neu schärfen.

Nutzen Sie die Debatte insbesondere auch für das Gespräch mit der Bevölkerung!

  • Damit die Chancen erkannt werden, die sich mit der Luftfahrt bieten.
  • Damit die Innovationskraft der Branche honoriert wird.
  • Damit das Verständnis für die Luftfahrt wächst.

So können wir die Wettbewerbsfähigkeit der Luftfahrt wahren und unseren Standort attraktiv halten.

Die Bedeutung der Luftfahrt geht weit über die Branche hinaus!


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