Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung

Bern, 03.09.2019 - Keynote von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, World Café Digitaltag 2019, Bern, 3. September 2019

Es gilt das gesprochene Wort

Geschätzte Anwesende,

Ich muss ein bisschen schmunzeln, wenn ich sehe, wie viele sich hier analog eingefunden haben, um über Digitales zu diskutieren! Aber ich freue mich selbstverständlich, denn ich rede mit Ihnen lieber direkt als mich mit Ihrer künstlichen Intelligenz zu unterhalten.

Vor gut 50 Jahren sind die ersten Menschen auf dem Mond gelandet. Das hat uns Kinder damals enorm fasziniert. Was wir nicht wussten: Nicht die amerikanische Flagge zierte als erstes den Mond, sondern ein Segel von Forschern der Universität Bern. Der Zweck dieses Segels hätte uns noch mehr zum Staunen gebracht: Dass man damit die Sonne einfangen kann!

Menschen im Zentrum

So etwas wie «künstliche Intelligenz» war für uns zu jener Zeit unvorstellbar. Was sich technologisch seit damals entwickelt hat, ist enorm. Aber das verunsichert eine Gesellschaft auch. Diese Verunsicherung möchte ich ernst nehmen.

Denn damit Menschen Neues akzeptieren, müssen sie es verstehen können. Und es gibt Dinge, die sind gar nicht so einfach zu verstehen.

  • Zum Beispiel wie es möglich ist, dass Menschen heute in Nullkommanichts reich werden mit Kryptowährung, während andere für ein paar Franken tagelang schuften müssen.
  • Es ist auch nicht einfach zu verstehen, warum man in Zukunft seinen Arzt nicht mehr persönlich kontaktieren soll, sondern einen Chatbot.
  • Und ganz und gar unverständlich ist, was gut daran sein soll, wenn künftig ein Roboter jemandes Arbeit verrichtet, und der Betroffene dafür arbeitslos wird und stempeln muss.

Künstliche Intelligenz ist per se weder gut noch schlecht. Doch gute, akzeptable und verständliche Lösungen bringt sie nur, wenn wir sie mit unserem Menschen-Verstand intelligent nutzen und den Menschen ins Zentrum stellen.

Klima und Digitalisierung

1969 zeigten wir der Welt, wie man auf dem Mond Teilchen der Sonne einfängt. Das war damals phänomenal.

Heute fangen wir ganz selbstverständlich Sonnenstrahlen ein. Wir machen mit Solarpanels Strom und neuerdings kann die ETH Zürich sogar aus Sonnenstrahlen und Luft Brennstoff für Flugzeuge herstellen.

Neue Technologien spielen auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Schweiz eine Schlüsselrolle. Sie können zwar bei falschen Anreizen zu einem Mehrverbrauch an Energie führen. Sie können aber auch zu einer umwelt-, klima- und menschenfreundlichen Entwicklung beitragen.

Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus dem Alltag geben:

Die Bahn: sie ist schon heute unsere grösste Klimaschützerin: Wenn Züge aber künftig mit einer Ideal-Geschwindigkeit fahren statt nach fixen Vorgaben, sparen wir nochmals 10-15 Prozent Energie – dank Digitalisierung.

Die Digitalisierung macht auch die Logistik vom Schiff bis zum Güterwagen effizienter. Damit wird die Verlagerung von Gütern auf die Schiene noch einfacher.

Wenn Güterzüge mit dem Stellwerk sprechen und Weichen richtig stellen, wenn Züge künftig dichter hintereinander fahren können, dann optimieren wir den Bahnverkehr zusätzlich. Das kommt unserer CO2-Bilanz zugute. Die 6 europäischen Güterbahnen – auch unsere SBB Cargo ist dabei – wollen, auch dank digitalen Lösungen, den Anteil der Schiene von 18 auf 30 Prozent steigern.

Beispiel 2: Der Smart Meter, der «intelligente Stromzähler».

Dieser moderne Stromzähler im Haus vereinfacht das Stromsparen. Er zeigt uns schonungslos auf, wo die stromfressenden Geräte sind. Diese Smart Meter helfen Strom zu sparen, aber sie dienen auch der Stabilität des Netzes. Wer zum Beispiel eine Photovoltaikanlage auf dem Dach hat, kann seinen Verbrauch optimieren und sein Elektroauto dann laden, wenn er viel Strom erzeugt. Diese Smart Meter gibt es heute schon. Jetzt müssen wir sie im Haushalt einfach noch anwenden.

Ein drittes Beispiel: Heute werden ganze Gebäude digital vernetzt. Wer warm hat, muss nicht mehr den Thermostat zurückdrehen und das Fenster aufreissen. Sensoren regeln die Innentemperatur, sie steuern Lüftung, Beschattung und Heizung – damit senkt man den Energieverbrauch und erhöht den Komfort. Das Bundesamt für Energie hat dazu das Programm «Make heat simple», mit dem Sie etwa die Heizung in Ihrem Ferienhaus an- und ausschalten und damit effektiv Energie sparen können.

Auch in ländlichen Gebieten kann die Digitalisierung dabei helfen, Natur, Mensch und Umwelt zu schützen: Die Zukunft der Landwirtschaft liegt nämlich nicht einfach in immer grösseren Maschinen. Sie beruht gerade auch auf intelligenten Sensorsystemen. Diese zeigen auf, was Kulturen, Pflanzen und Tiere wann brauchen. So können Krankheiten und Schädlinge früher erkannt werden. Die Umweltbelastung sinkt, wenn man Pflanzenschutzmittel gezielt und dosiert einsetzt.

Grüne Finanzen

Auch der Finanzsektor kann - und soll – seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Ein Aktionsplan, der in der EU umgesetzt wird, zeigt, wie man bei den Finanzanlagen die Auswirkungen auf Mensch, Klima, Wasser und Biodiversität besser berücksichtigt. Daten liefern die nötigen Entscheidungsgrundlagen. Klar, niemand ist naiv und eine Schwalbe macht noch keinen Frühling. Aber es ist eine Schwalbe.

Immer mehr Unternehmen haben erkannt: Eine Wirtschaft, die auf einheimische, erneuerbare Energien statt auf teures Oel, auf Kohle und Gas aus dem Ausland setzt, ist eine innovative Wirtschaft. Sie kreiert Lösungen, die sich auch im Ausland gut verkaufen. Das schafft und sichert hier moderne Arbeitsplätze.

Klimaneutrale Schweiz 2050

Meine Damen und Herren, wir sehen es alle: Der Klimawandel ist in der Schweiz angekommen. Unser Land ist vom Klimawandel ganz speziell betroffen: Über die letzten 150 Jahre ist bei uns die Temperatur um rund 2 Grad gestiegen. Das ist deutlich mehr als im weltweiten Durchschnitt. Wir sind ein besonders verletzliches Land.

Und dieser Sommer – der heisseste seit Messbeginn – hat es uns wieder vor Augen geführt: Der Klimawandel hat für uns gravierende Auswirkungen. Der Permafrost taut auf, wir haben Starkregen, Hochwasser und Steinschlag, dann wieder extreme Trockenheit. Die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft leiden zunehmend.

Seit bald 2 Jahren berät das Parlament Massnahmen, um den CO2-Ausstoss zu senken. Doch so viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Der Bundesrat hat deshalb letzten Mittwoch entschieden, dass unser Land bis im Jahr 2050 klimaneutral sein soll. Wir haben also 30 Jahre Zeit, um die Klimaschutzmassnahmen umzusetzen und unsere Energiewirtschaft, die heute noch zu drei Vierteln auf Öl und Gas setzt, anzupassen. Was wir brauchen, sind einheimische erneuerbare Energien, also Wasserkraft und Sonnenergie. Die technischen Lösungen liegen auf dem Tisch.

Die Digitalisierung kann die Effizienz verbessern und uns zu cleveren Lösungen verhelfen. Das heisst: besser isolierte Gebäude, CO2-freies Heizen, mehr Güter auf der Schiene, eine klimaverträgliche Mobilität und eine weitgehend CO2-freie Stromversorgung: all dies bedeutet Schub für unsere Wirtschaft, ist gut für unsere Arbeitsplätze und kann auch exportiert werden.

Meine Damen und Herren, was ist die Alternative? Nichts tun? Wer meint, nichts tun kostet nichts, irrt. Und zwar gewaltig.


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