Nationale Mobilitätskonferenz

Bern, 29.11.2021 - Rede von Bundesrätin Simonetta Sommaruga, 29.11.2021, Kursaal Bern

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr verehrte Anwesende von Bund, Kantonen, Gemeinden und Fachorganisationen hier im Kursaal in Bern

Und geschätzte Frau Regierungsrätin Graziella Marok-Wachter, Sie sind Online zugeschaltet

Geschätzte Vertreter der Botschaft von Finnland

Sie werden heute über den Wandel in der Mobilität sprechen. Dabei haben Sie und ich einige Etappen des Wandels selber miterlebt.

Viele Fahrzeuge von früher sind Geschichte. Das «Ciao» zum Beispiel, das war in meiner Jugend der Inbegriff für Dolce Vita auf zwei Rädern und für Tempo. Und oft war das Kult-Töffli der 70er und 80er besser frisiert als der Besitzer oder die Besitzerin.

Andere Verkehrsmittel nutzen wir noch heute. Und nicht wenige davon zeugen von der Pionierrolle, die die Schweiz im Verkehr hat.

  • Wir haben die erste Bergbahn Europas gebaut, die Vitznau-Rigi-Bahn, an deren 150-Jahr-Jubiläum ich in diesem Frühling war.
  • Die Schweiz hatte bei der Elektrifizierung der Eisenbahn eine Lok-Länge Vorsprung. Sie hat die Bahn rasch weitgehend elektrifiziert – andere Länder, auch europäische, sind heute noch dran.
  • Auch die NEAT ist eine Pioniertat der Schweiz. Mit der Eröffnung des Ceneri letztes Jahr ist sie vollendet.

Aber nicht nur die Mobilität hat sich über die Jahrzehnte gewandelt, sondern auch mein Departement. Zum Verkehr kamen Energie und Umwelt hinzu, und heute sind 7 Ämter unter einem Dach. 6 davon befassen sich mit dem Thema Mobilität. Sie sind heute hier vertreten, das illustriert: Mobilität umfasst längstens viel mehr als nur den «Verkehr».

Wir betrachten heute Mobilität natürlich auch besonders im Kontext des Klimawandels. Die Dekarbonisierung - gerade des Verkehrs - ist eine Tatsache. Das wurde auch an der Welt-Klimakonferenz in Glasgow klar. Selbst nachdem Indien und China den Text zum Kohleausstieg und zum Ende der Subventionierung von Öl und Gas noch abgeschwächt hatten, blieb klar: Die Dekarbonisierung ist beschlossen - wir haben für diesen Planeten gar keine andere Wahl.

Gleichzeitig ist diese Transformation eine Jahrhundertaufgabe. Der Wandel betrifft uns alle, jeden Einzelnen von uns. Es ist deshalb eine Aufgabe, die nicht nur die Wirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft betrifft. Es ist eine gesellschaftliche Transformation.

Und deshalb müssen wir die Menschen mitnehmen. Wir - die Politik, zusammen mit der Wissenschaft und der Wirtschaft - müssen den Menschen aufzeigen, wie dieser Wandel funktioniert, und dass er machbar ist.

Dass auch ohne Kohle, Öl und Gas weiterhin die Energie verfügbar ist, die wir brauchen.

Die Schweiz ist stark vom Ausland abhängig, sie bezieht drei Viertel ihrer Energie aus dem Ausland. Wenn wir im Zuge der Dekarbonisierung unsere Mobilität klimafreundlich ausgestalten, wird sie auch effizienter. Und das führt uns gleichzeitig auch etwas aus dieser massiven Abhängigkeit.

Das gemeinsam zu entwickeln und aufzuzeigen, das ist unsere Aufgabe - heute, aber auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten. Denn richtig ist: die Klimakrise verlangt eine rasche Dekarbonisierung - gleichzeitig wissen wir, dass man diese wohl tiefgreifendste wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung seit der Industrialisierung nicht in wenigen Jahren hinkriegt.

Umso wichtiger ist das schrittweise Vorgehen - stets ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Das gilt ganz besonders für die Schweiz, für eine direkte Demokratie, wo ein schrittweises Vorgehen das erfolgversprechendste Modell ist, und wo man dafür aber auch nach Rückschlägen wieder vorwärts machen kann.

Im letzten Juni hat die Bevölkerung die Totalrevision des CO2-Gesetzes abgelehnt. Gestern hat die Mehrheit im Kanton Zürich eine Vorlage angenommen, welche die Dekarbonisierung im Gebäudebereich, der ja in der Zuständigkeit der Kantone liegt, voranbringt. So funktioniert die Schweiz: Schritt für Schritt, und dank dem föderalen System auch mit konkreten Schritten in den Kantonen.

Wenn es um die Dekarbonisierung im Verkehr und um die Veränderungen in der Mobilität geht, werden auch in meinem Departement ganz konkrete Projekte vorbereitet - oder sind zum Teil bereits in Umsetzung.

Ich gebe Ihnen heute gerne einen Einblick dazu:

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt befasst sich mit der Frage, wie der Flugverkehr klimafreundlicher werden kann. Ein Fokus liegt dabei auf der Förderung von synthetischem Kerosin. Vor kurzem habe ich die CO2-Filteranlage von Climeworks in Hinwil besucht, einem Schweizer Unternehmen. Dort wird CO2 der Umgebungsluft entzogen und industriell weiterverwertet. Mit Wasserstoff kombiniert kann synthetischer Treibstoff hergestellt werden. Bei diesem Besuch waren auch Vertreter von Synhelion dabei. Diese Firma hat eine Technologie entwickelt, mit der aus Sonnenlicht und Luft klimafreundlicher Treibstoff hergestellt werden kann. Er bringt Flugzeuge mit der Kraft der Sonne zum Fliegen.

Das ist klima- und wirtschaftspolitisch interessant. Denn damit wird eine Alternative für das klimaschädliche Kerosin entwickelt. Die Technologie kann zudem exportiert werden, denn solche Innovationen sind weltweit gefragt.

Dekarbonisierung gelingt nicht ohne Innovation. Wichtig ist aber auch, falsche Anreize zu beseitigen. Nehmen wir das steuerliche Privileg für schmutzige Dieselbusse: Das wollen wir mit dem CO2-Gesetz, das der Bundesrat demnächst beschliesst, aufheben und mit dem Geld die Anschaffung von Elektrobussen unterstützen. Das Thema wird im Bundesamt für Verkehr vorbereitet.

Klimapolitisch von grösster Bedeutung ist aber auch die Verlagerung von Gütern von der Strasse auf die Schiene: Der Anteil der Schiene beim grenzüberschreitenden Güterverkehr durch die Alpen ist im letzten Jahr auf den höchsten Stand seit 25 Jahren gestiegen. Drei Viertel dieser Güter werden auf der Schiene transportiert. Das ist europaweit - oder vermutlich weltweit - einsame Spitze. Trotzdem verfehlen wir das ehrgeizige Ziel, das die Bevölkerung mit dem JA zur Alpeninitiative gesteckt hat. Es soll uns Ansporn bleiben, weiter zu machen - und mehr zu tun. Zum Beispiel den CO2-Ausstoss bei der Neuorientierung der LSVA miteinzubeziehen und auch den Binnengüterverkehr mit den richtigen Anreizen noch vermehrt auf die Schiene zu bringen.

Auch das Bundesamt für Strassen befasst sich intensiv mit der Dekarbonisierung und dem Klimaschutz. Der Trend bei den Neuzulassungen von Personenwagen ist unübersehbar - und für viele überraschend. Noch Ende 2018 einigte man sich in der Roadmap Elektromobilität auf einen Stecker-Anteil von 15% bis im Jahr 2022 bei den Neuwagen - und dachte, das sei ein ehrgeiziges Ziel. Heute ist das Ziel schon übererfüllt - und die Entwicklung geht rasant weiter.

Allerdings wirkt sich diese Entwicklung in der Kasse der Mineralölsteuer aus, die Einnahmen sinken. Damit fehlt uns langfristig das Geld, um die Nationalstrassen in Schuss zu halten und die kantonalen und kommunalen Agglomerationsverkehrsprojekte zu unterstützen.

Wir arbeiten darum an einem Konzept für den Ersatz der Mineralölsteuer. Diese Ersatzabgabe soll die Mineralölsteuern 1:1 ersetzen und nicht zu Mehreinnahmen führen.

Was offensichtlich ist: Die Elektromobilität braucht Strom! Deshalb zeigt sich gerade hier, was ich eingangs erwähnt habe: Wir müssen der Bevölkerung aufzeigen, dass die Dekarbonisierung zu mehr Effizienz führt, und dass die dafür notwendige Energie auch tatsächlich vorhanden ist.

Wichtig ist hier das Gesetz, welches das Bundesamt für Energie vorbereitet und das der Bundesrat im letzten Juni verabschiedet hat. Das Gesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien wird jetzt im Parlament beraten: Wir brauchen für die Versorgungssicherheit mehr Strom - bedeutend mehr Strom - vor allem im Winter. Deshalb schlägt der Bundesrat ein Pflichtlager für Winterstrom vor. Behandelt das Parlament die Vorlage zügig, haben wir ab 2025 mit dem Pflichtlager bereits sehr rasch eine Sicherheit für allfällige Engpässe im Winter.

Eine zusätzliche Finanzierung von Energie speziell für die Wintersituation ist im Gesetz ebenfalls vorgesehen.

Für eine klimafreundliche Mobilität braucht es geeignete raum- und verkehrsplanerische Grundlagen, für die das Bundesamt für Raumentwicklung zuständig ist. Im September konnten wir gemeinsam mit kantonalen und regionalen Vertretern ein verkehrspolitisch wichtiges Zeichen setzen: Wir haben Staats-Ebene-übergreifend eine Erklärung unterzeichnet die zum Ziel hat, Verkehrsdrehscheiben zu fördern. Mit diesen Drehscheiben optimieren wir die Übergänge zwischen den lokalen und regionalen Verkehrsnetzen sowie zwischen Nationalstrassen und dem öffentlichen Verkehr. Mit klugen raumplanerischen Massnahmen verbinden wir Stadt und Land besser und sorgen für kürzere Wege. Das dient dem Zusammenhalt in unserem Land, aber natürlich auch einer intelligenten Verkehrspolitik.

Zudem arbeitet das ARE mit Hochdruck an einer Vorlage, die raschere Bewilligungsverfahren für den Ausbau erneuerbarer Energie möglich macht. Unsere Prozesse bei den Bewilligungsverfahren sind kompliziert, schwerfällig und ineffizient. Ende Januar kommen wir mit einer Vorlage zur Beschleunigung.

Wichtige Weichen für den Klimaschutz generell und eine klimafreundliche Mobilität werden natürlich im Bundesamt für Umwelt gestellt: Es hat ein neues Klimaschutzgesetz ausgearbeitet, die Vorlage geht in Kürze in Vernehmlassung. Im Mobilitätsbereich soll namentlich der Ausbau der Infrastruktur für Elektroautos gefördert werden.

Meine Damen und Herren,

Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und die Politik: alle sind gefordert, ihren Beitrag für diese Jahrhundert-Transformation zu leisten. Dabei geht es um die richtigen Rahmenbedingungen, um Anreize, um Investitionen und auch darum: Fehlinvestitionen zu verhindern.

Die Dekarbonisierung bleibt auch in den kommenden Jahren das Megathema im Bereich der Mobilität. Gleichzeitig geben uns die neuesten Verkehrsperspektiven 2050 auch eine Vorstellung davon, wie sich der Verkehr künftig entwickeln könnte. Sicher ist, dass er auch in Zukunft wächst. Aufgrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Trends – zum Beispiel aufgrund der Zunahme von Home-office, aufgrund der Urbanisierung oder der demographischen Entwicklung - wächst der Verkehr aber weniger stark als die Bevölkerung.

Vorausgesetzt, wir setzen die bestehende Verkehrs- und Raumplanung konsequent um, entwickeln Siedlungen gegen innen, erschliessen sie gut durch den öffentlichen Verkehr und ergänzen sie durch weitere verkehrspolitische Massnahmen.

Meine Damen und Herren, wir sind auf dem Weg hin zu einer klimafreundlichen Mobilität, aber längst nicht am Ziel. Auch wenn wir auf viel Gutem aufbauen können – wir müssen auch vieles neu denken. Dazu sind Sie heute da, und ich bin gespannt auf die Bilanz dieser Konferenz.

Ich danke Ihnen für Ihr Mitdenken und Mitgestalten.


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