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RedeVeröffentlicht am 23. Oktober 2025

Digital Switzerland Forum

Bern, 22.10.2025 — Rede von Bundesrat Albert Rösti

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Vielen Dank für die Einladung. Es freut mich, heute hier am Digital Switzerland Forum zu Ihnen sprechen zu dürfen. Künstliche Intelligenz ist kein völlig neues Phänomen. Schon in den 1950er-Jahren haben Forscherinnen und Forscher Programme entwickelt, die Schach spielten oder mathematische Probleme lösten. KI begleitet uns also schon seit Jahrzehnten – etwa in der Medizin bei der Analyse von Röntgenbildern, in der Industrie bei der Qualitätskontrolle oder im Verkehr bei der Steuerung von Ampeln.

Neu ist heute nicht die Idee, sondern die Geschwindigkeit, mit der KI lernt, Daten verarbeitet und Entscheidungen unterstützt. Und neu ist, dass sie unser tägliches Leben direkt beeinflusst – in der Wirtschaft, in der Verwaltung, in der Forschung.

Ich stelle aber fest: In der Schweiz sprechen viele zuerst über die Risiken. Datenschutz, Abhängigkeiten, Missbrauch – das sind berechtigte Themen. Aber ich bin überzeugt: Die Chancen sind noch grösser. Wenn wir KI klug nutzen, kann sie unser Land stärker, innovativer und unabhängiger machen. Genau darum geht es mir heute.

KI hat ein riesiges Potenzial – für Wirtschaft, Gesellschaft und Innovation

Stellen Sie sich unsere Energieversorgung in einem kalten Winter vor: wenig Wasser, schwankender Wind, hoher Stromverbrauch. Ein KI-System, das Netzdaten, Wetterprognosen und Verbrauchsdaten kombiniert, kann helfen, Engpässe früh zu erkennen und gezielt gegenzusteuern. Das stärkt die Versorgungssicherheit und senkt die Kosten.

Oder nehmen wir die Post: Sie nutzt heute ein KI-System, das auf Millionen Sendungsdaten trainiert wurde und bei der Verzollung hilft. Das bedeutet schnellere Abläufe und weniger Aufwand für die Kundinnen und Kunden.

Solche Beispiele zeigen: KI ist mehr als ein Digitalisierungsprojekt. Sie verändert, wie wir arbeiten, denken und produzieren. Prozesse werden effizienter, neue Produkte entstehen, ganze Geschäftsmodelle wandeln sich.

Natürlich bringt KI auch Risiken – ich habe sie eingangs erwähnt: Datenschutz, Urheberrechte, Abhängigkeit von grossen Tech-Konzernen. Diese Sorgen sind berechtigt. Aber sie dürfen uns nicht lähmen. Viele Risiken können wir mit klugen Regeln und klarer Verantwortung im Griff behalten – durch bessere Dateninfrastrukturen, technische Standards und eine wirksame Aufsicht.

Die entscheidende Frage lautet: Wie kann die Schweiz diese Entwicklung aktiv gestalten – selbstbestimmt, innovativ und im Interesse unseres Landes?

Wir haben dafür beste Voraussetzungen. Unsere Hochschulen gehören weltweit zur Spitze, besonders in der Grundlagenforschung. Die ETH, die EPFL und viele Fachhochschulen leisten Spitzenarbeit in der KI-Forschung. Schweizer Forschungsinstitutionen zählen zu den meistzitierten weltweit. Und auch bei Patenten und Startups sind wir vorne mit dabei.

Wichtig ist, dass wir die Erkenntnisse aus der Forschung auch in konkrete Produkte und Dienstleistungen umsetzen. Die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und KMU ist dafür ein grosser Vorteil.

Aber wir dürfen uns nicht ausruhen. Der weltweite Wettbewerb verschärft sich. Für ein kleines, exportorientiertes Land wie die Schweiz ist es Pflicht, wettbewerbsfähig zu bleiben – mit Top-Talenten, Forschung auf höchstem Niveau und einem verlässlichen, innovationsfreundlichen Rahmen.

Damit dies gelingt, müssen wir alle verstehen, wie KI funktioniert, wo sie nützt – und wo man sie besser nicht einsetzt. Wir müssen sie so gestalten, dass sie Vertrauen schafft. Nur dann wird sie akzeptiert.

Das heisst: Wir brauchen Spielregeln. Nicht starre Verbote, sondern eine smarte Gouvernanz – gemeinsam mit Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Bundesrat will eine Regulierung, die agil ist, Vertrauen schafft und Missbrauch verhindert.

Genau das verfolgt der Bundesrat mit dem Schweizer Regulierungsansatz, den wir im Februar beschlossen haben. Grundlage war eine umfassende Analyse: Wo deckt unser bestehendes Recht KI bereits ab? Wo gibt es Lücken? Und wie füllen wir sie unbürokratisch und zielgerichtet?

Drei Ziele stehen im Zentrum:

  • Erstens: Die Schweiz soll ein starker Innovationsstandort bleiben.
  • Zweitens: Der Schutz der Grundrechte gilt auch im digitalen Zeitalter.
  • Drittens: Bevölkerung und Unternehmen müssen KI vertrauen können.

Um das zu erreichen, hat die Schweiz im März die KI-Konvention des Europarates unterzeichnet – ich durfte das persönlich in Strassburg tun, im Beisein von Altbundesrat Alain Berset. Diese Konvention schützt Grundrechte und Demokratie, lässt uns aber die Freiheit, wie wir das konkret umsetzen.

Wir setzen auf bestehende Rechtsgrundlagen, technische Normen, Branchenlösungen und Verhaltenskodizes. Nur dort, wo nötig, schaffen wir neue Vorschriften – und das sektoriell und pragmatisch.

Bis Ende 2026 wird der Bundesrat zwei Arbeitsstränge vorantreiben:

Das EJPD, zusammen mit UVEK und EDA, bereitet die Vernehmlassung zu den gesetzlichen Anpassungen vor. Und mein Departement wird zusammen mit dem EJPD, dem EDA und dem WBF einen Umsetzungsplan erarbeiten für nicht verbindliche Massnahmen – etwa freiwillige Branchenlösungen oder Selbstverpflichtungen.

Mit diesem Ansatz wollen wir die Entwicklung von KI gezielt lenken, ohne sie zu bremsen. Ich lade Sie ein, sich einzubringen – mit konkreten Vorschlägen, wie Wirtschaft und Gesellschaft Vertrauen und Sicherheit schaffen können. Nur gemeinsam können wir einen pragmatischen Regulierungsansatz umsetzen, der Innovation fördert statt hemmt.

Die Schweiz ist keine Insel. KI wird weltweit entwickelt, genutzt und reguliert. Wir müssen sicherstellen, dass unser Ansatz mit den Regeln unserer wichtigsten Partner kompatibel bleibt. Zugleich wollen wir den internationalen Rahmen aktiv mitgestalten – im Sinne unserer Werte und Interessen.

Gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen ist unsere Brückenbauerrolle gefragt. Die Schweiz kann dank ihrer Neutralität, ihrem Wissen und ihrem Netzwerk Lösungen ermöglichen, die andere Länder zusammenbringen. Vertreterinnen und Vertreter des UVEK haben bei wichtigen internationalen Regelwerken mitgewirkt – in der OECD, im Europarat, bei der UNO.

Und hier spielt das internationale Genf eine Schlüsselrolle. Nirgends sonst treffen sich so viele internationale Organisationen, Forschungsinstitute, Tech-Unternehmen und Think Tanks. Dieses Netzwerk – Diplomatie, Technologie, Wissenschaft – ist ein Trumpf für die Schweiz.

Genf ist kein Symbol, sondern ein strategischer Vorteil. Es verschafft uns direkten Zugang zu Informationen, Partnern und Entscheidungsprozessen. Damit haben wir als kleines Land mehr Einfluss, als unsere Grösse vermuten lässt. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass Genf bei der Gestaltung der digitalen Welt – auch bei der KI-Gouvernanz – eine führende Rolle spielt.

Deshalb hat der Bundesrat beschlossen, 2027 die Austragung eines internationalen KI-Gipfels in Genf zu prüfen. Dafür braucht es jedoch noch Überzeugungsarbeit. Einerseits gibt es Konkurrenz durch andere Staaten, andererseits ist die Finanzierung noch nicht gesichert. Der Bundesrat wird im ersten Quartal – abhängig von einer gesicherten finanziellen Unterstützung – entscheiden, ob der Gipfel durchgeführt werden kann. Es wird somit auch an Ihnen liegen, ob wir diesen Weg gemeinsam gehen können. Selbstverständlich unterstütze ich das als Departementsvorsteher vollumfänglich.

Damit komme ich zum Schluss.

Als die Schweiz Mitte des 19. Jahrhunderts bei der industriellen Revolution ins Hintertreffen zu geraten drohte, hatten einige mutige Menschen Weitsicht. Alfred Escher und seine Mitstreiter sorgten dafür, dass die Schweiz beim Eisenbahnbau nicht abgehängt wurde. Sie gründeten die ETH, um eigenes Know-how aufzubauen, und die Schweizerische Kreditanstalt, um die Finanzierung sicherzustellen. Damit legten sie den Grundstein für unseren Bildungs-, Forschungs- und Finanzplatz.

Genauso wie damals müssen wir heute eine gute Bedingungen für die digitale Revolution schaffen. Wir brauchen starke Forschung und Bildung, leistungsfähige Datenräume, ein attraktives Investitionsumfeld – und demokratische Kontrolle über die digitale Entwicklung.

Auch 1849 war nicht alles perfekt. Es gab Fehlentscheide, private Bahnen mussten gerettet werden, und manches wurde später neu organisiert. Aber entscheidend war: Man hatte Mut. Man packte an. Man machte vorwärts.

Diesen Mut brauchen wir auch heute. Wir müssen investieren – privat und staatlich. Wir müssen ausprobieren, lernen und weitergehen. Nichts zu tun, ist keine Option.

Ich freue mich, dass digitalswitzerland mit dem AI Action Plan eine Public-Private-Initiative gestartet hat, die genau das unterstützt: mehr Kompetenzen, mehr Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.

Ich danke allen, die mithelfen, die digitale Zukunft der Schweiz zu gestalten.