Stromversorgung: «Dann wird die Lage desaströs für die Schweiz»
Beim Ausbau der Wasserkraft wird nur die Hälfte des angepeilten Ziels erreicht: SVP-Bundesrat Albert Rösti sagt im Interview, weshalb es bei der Energiewende harzt – und warum er E-Autos künftig besteuern will.
Schweiz am Wochenende, 27.09.2025
Benjamin Rosch und Julian Spörri
Herr Rösti, vor einem Jahr tendierten Sie persönlich zu Donald Trump und nicht zu Kamala Harris. Im Frühling sagten Sie, Sie würden noch immer die republikanische Partei wählen. Wie sieht es aktuell aus?
Albert Rösti: Die Frage stellt sich nicht. Es geht im Moment darum, dass der Bundesrat alles daransetzt, mit der aktuellen Regierung zusammenzuarbeiten. Der Bundesrat wählt die Regierung eines anderen Landes nicht aus. Jetzt, in den aktuellen Verhandlungen ist man in Kontakt, auf allen Ebenen: Nicht mein Departement, sondern das Wirtschaftsdepartement und auch die Bundespräsidentin.
Sie sagen, nicht Ihr Departement. Doch die EU besänftigte Trump mit dem Import von mehr Flüssiggas. Sehen Sie als Energieminister darin auch für die Schweiz eine Lösung?
Der Bundesrat hat ein Verhandlungsangebot gemacht. Über Inhalte äussert er sich nicht, solange die Verhandlungen laufen. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich daranhalte.
Die Frage nach Flüssiggas kam auch deshalb, weil der Bundesrat zwischen 2027 und 2030 fünf neue Reservekraftwerke betriebsbereit machen will: in Monthey VS, Stein AG, Muttenz BL und zwei in Eiken AG. Sie könnten von Flüssiggas profitieren.
Die Reservekraftwerke wären im Fall einer Strommangellage höchstens für ein paar Tage oder Wochen in Betrieb. Wir sprechen also von sehr kleinen Mengen, die wir an Lager haben müssen. Sie sind nicht relevant für die Verhandlungen. Zudem verlangt das Gesetz, dass es sich bei den Reserven um erneuerbares Gas oder synthetischen Brennstoff handeln muss.
Der Abschluss der Verhandlungen zu genannten Reservekraftwerken war für August angekündigt. Woran harzt es?
Tatsächlich brauchen wir länger Zeit in den Verhandlungen. Es gibt die eine oder andere Herausforderung – bei den Preisen und genauen Konditionen. Doch klar ist: Bis die neuen Reservekraftwerke stehen, wird es ohnehin 2027 bis 2029. Einen Monat mehr oder weniger zu verhandeln, stellt zeitlich kein Problem dar. Entscheidend ist, dass wir schon heute auf Reservekraftwerke zurückgreifen können: dank der aktuell betreibbaren Anlagen in Birr, Monthey und Cornaux.
Ist die Stromversorgung dieses Jahr denn auch im Fall eines harten Winters sichergestellt? Bekanntlich fällt aktuell das AKW Beznau 1 aus, und Gösgen ist wohl bis Februar 2026 vom Netz.
Die ElCom erachtet die Stromversorgung aktuell als sichergestellt. Die Importe funktionieren. Anders als 2023 sind keine Schwächen bei französischen Atomkraftwerken zu erwarten. Und anders als damals steht das Reservekraftwerk in Birr AG nicht erst im Bau, sondern wäre im Fall einer Mangellage einsatzbereit. Ich schaue daher recht entspannt auf den anstehenden Winter.
Apropos Entspannung: Am Freitag hat das Parlament Beschleunigungserlass nach monatelangem Geknorze zugestimmt. Wie geht es nun weiter?
Wir haben zuvor über die kurzfristige Versorgungssicherheit gesprochen – über die Reservekraftwerke, die idealerweise nie zum Einsatz kommen sollen. Der Beschleunigungserlass ist hingegen für die mittelfristige Versorgung sehr wichtig. Hier geht es darum, dass wir bereits in den nächsten zehn Jahren Wasserkraft, Solar- und Windenergie schneller zubauen und die inländische Stromproduktion erhöhen können. Die Bewilligungsverfahren werden massgeblich verkürzt. Ich bin sehr froh, dass das Parlament einen Kompromiss gefunden hat: zwischen jenen, die weiterhin Beschwerden ermöglichen wollten, und jenen, die stärker beschleunigen möchten.
Hoffen Sie auf Signalwirkung: Weniger Blockade im Energiedossier?
Das ist dringend notwendig. Der Ausbau der Wasserkraft, der alpinen Solarenergie, die Winterstrom liefern kann, und der Windkraftanlagen geht viel zu langsam voran. Nur Sommerstrom haben wir dank Solaranlagen genügend. Gleichzeitig bin ich realistisch: Ich glaube nicht, dass der Parlamentsbeschluss manche Kreise davon abhält, überall und wo möglich, Einsprache einzulegen. Immerhin können sie die Projekte nun vor der Justiz weniger lang blockieren.
Bei manchen Projekten gibt es Anzeichen einer Deblockade: Aqua Viva hat die Beschwerde gegen den Berner Trift-Stausee zurückgezogen...
Ja, das ist sehr positiv. Auch die Tatsache, dass die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz neu mit der Begleitgruppe für das Wasserkraftwerk «Gornerli» im Wallis zusammenarbeitet, bedeutet zwar noch keine Zustimmung, ist jedoch ein wichtiger Schritt. Denn fast 70 Prozent der Stimmbevölkerung haben bei der Abstimmung im letzten Jahr diesen zwei und 14 weiteren Wasserkraftwerk-Projekten, die im Anhang des Stromgesetzes namentlich erwähnt waren, zugestimmt.
Wo stehen denn diese 16 Wasserkraftwerk-Projekte?
Wir haben in einer Umfrage unter den Stromproduzenten festgestellt, dass von den angepeilten 2 Terawattstunden Strom bis 2040 nur rund die Hälfte realisiert, werden können. Dabei geht es nicht um Einsprachen, sondern technische und wirtschaftliche Hürden. Diese Lücke von fast einer Terrawattstunde werden wir mit anderen Projekten schliessen. Wir werden dem Parlament vorschlagen, diese Liste im Anhang des Stromgesetzes zu erweitern.
Mit Projekten, über die der runde Tisch Wasserkraft bereits diskutiert hat, auf die man sich aber am Ende nicht einigen konnte?
Ja, diese sind eine gute Ausgangslage. Der runde Tisch hat aus 33 Projekten jene 15 ausgewählt, bei denen das Verhältnis vom Schutz der Natur und Nutzen zur Stromgewinnung am besten war. Eines kam später in der parlamentarischen Beratung dazu. Nun rücken Projekte in den Fokus, welche auf der zweiten Hälfte der Liste sind. Dazu sind wir gezwungen. Im ersten Quartal 2026 werden wir erste Vorschläge präsentieren.
Sollen diese dann auch unter den Beschleunigungserlass fallen?
Der Zugang zum Bundesgericht ist den Organisationen nur bei den heute bereits im Anhang 2 StromVG aufgeführten Wasserkraftprojekten verwehrt.
Aber nochmals: Die Stromversorger profitieren bei diesen 16 Projekten von einer privilegierten Gesetzeslage. Und ein Jahr, nachdem das Schweizer Stimmvolk mit 70 Prozent Ja-Anteil dem zustimmte, stellt sich heraus: Viele dieser Projekte lassen sich gar nicht so realisieren. Finden Sie das fair?
Es ist keine Frage der Fairness. Die Stromkonzerne befinden sich immer noch in einem halbwegs freien Markt. Wenn beispielsweise die BKW entscheidet, sie investiere vorerst in die Trift und die Erhöhung der Grimselstaumauer sowie die Alpiq in das Gornerli und in andere Projekte später, dann ist das ihr wirtschaftlicher Entscheid. Ich bin sehr froh darum, weil die drei Projekte über die Hälfte des notwendigen Potenzials des runden Tisches beinhalten. Am Druck von meiner Seite soll es nicht scheitern: Ich war in allen betroffenen Kantonen, die Anstrengungen des Departements sind enorm. Aber am Ende stehen die Unternehmen und ihre Eignerkantone in der Umsetzung, nicht der Bund.
Werden Sie den runden Tisch neu einberufen?
Der Vorschlag für neue Projekte wird in eine Vernehmlassung geschickt. In diesem Rahmen können alle Teilnehmenden des runden Tisches ihre Meinung direkt gegenüber Bundesrat und Parlament äussern.
Können Sie sagen, welche Projekte nicht gebaut werden?
Nein.
Und welche jetzt neu in den Fokus rücken?
Auch nicht. Aber was ich sagen kann: Wir konzentrieren uns vorderhand auf die grössten drei Projekte: Trift, Grimsel und Gornerli. Diese liefern zwei Drittel der erwarteten Strommenge von 2 Terawattstunden. Klappt dies, haben wir einen wichtigen Schritt gemacht. Wenn nicht, wird die Lage desaströs für die Schweiz.
In der öffentlichen Debatte stehen oft Umweltverbände im Verdacht, die Energiewende zu blockieren.
Wir wären schon weiter ohne Einsprachen. Es brauchte diesen Druck, das Verbandsbeschwerderecht zu streichen, um einige zu einem gewissen Umdenken zu bewegen.
Auch ohne Referendum gegen den Beschleunigungserlass erwartet Sie ein anstrengendes 2026: Voraussichtlich stimmt die Schweiz nächstes Jahr über die SRG ab, über einen Klimafonds und die Blackout-Initiative, welche ein Atom-Comeback fordert. Welche Abstimmung bereitet Ihnen am meisten Sorgen?
Respekt habe ich vor jeder Abstimmung. Ob die Blackout-Initiative bereits nächstes Jahr an die Urne gelangt, ist allerdings noch offen. Diese wird sicher den kontroversesten Abstimmungskampf bedeuten – aber auch eine Diskussion, auf die ich mich freue. Wenn Reservekraftwerke kurzfristig den Strom liefern sollen und die Erneuerbaren mittelfristig, wird Kernkraft vor allem in der Langfristperspektive wichtig.
Die Erneuerbaren sind eine vorübergehende Erscheinung?
Nein, sie sind ein wesentlicher Bestandteil im Strom-Mix der Zukunft. Mittelfristig ist hier sicher der grösste Ausbau möglich. Mit Wasserkraft, Solaranlagen und auch Windkraft, die vor allem für den Winterstrom wichtig ist. Ich glaube aber nicht, dass in der Schweiz je 1000 oder 2000 Windräder stehen werden, wie dies beispielsweise in Österreich der Fall ist. Dafür fehlt die nötige Akzeptanz in der Bevölkerung. Sollte sich dies plötzlich ändern, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.
Von Ihnen persönlich stammt ja der Satz: «Wenn wir etwas erreicht haben, ist es, dass Windkraftwerke in diesem Land keine Akzeptanz haben.»
Habe ich das so gesagt?
2017, nach der Abstimmung über die Energiestrategie.
Da haben Sie aber wieder böse in den Archiven geforscht. Es war sicher pointiert formuliert damals. Ich verstehe nach wie vor, dass man gegenüber Windturbinen kritisch ist. Aber den damaligen Volksbeschluss gilt es zu akzeptieren. Und zudem hat sich die Situation geändert: Aufgrund der beschlossenen Dekarbonisierung, den geopolitischen Veränderungen und des Bevölkerungswachstums brauchen wir viel mehr Strom. Wenn man mich aber fragt, ob ich lieber 2000 Windräder hätte, oder neue Kernkraftwerke in Leibstadt und Gösgen mit einem Leistungsausbau, dann fiele mein Entscheid auf die Kernkraft.
Über den Elefanten im Raum haben wir noch nicht gesprochen: Welche Rolle nimmt das Stromabkommen mit der EU in ihrer Planung ein?
Ein Stromabkommen stärkt die Versorgungssicherheit der Schweiz. Es entbindet uns aber nicht vom eigenständigen Ausbau der Produktion. Nur so können wir unsere Stärken optimal ausspielen.
Die Schweiz braucht mehr Strom, baut aber die Erneuerbaren zu wenig schnell aus. Würde es Ihnen entgegenkommen, wenn die Zunahme des E-Auto-Anteils gebremst würde?
Nein, überhaupt nicht. Das Ziel der Dekarbonisierung steht schwarz auf weiss im Gesetz: Bis 2030 müssen wir den CO₂-Ausstoss um 50 Prozent senken, wobei ein Drittel im Ausland kompensiert werden kann. Damit das gelingt, ist die Elektrifizierung unumgänglich. Die Stromversorgung muss sich so entwickeln, dass der Ausbau der Elektromobilität möglich ist.
Der E-Auto-Boom geriet zuletzt jedoch ins Stocken...
Ja, es harzt. Und ich glaube, das liegt auch daran, dass sich die Leute fragen: Haben wir wirklich genug Strom? Aus psychologischer Sicht ist es sehr wichtig, das bejahen zu können. Und es braucht auch ein bisschen mehr Begeisterung. Ich habe als Bundesrat das Privileg, ein Elektroauto zu fahren und kann das den Leuten empfehlen – vor allem jenen, die auf ihrem Haus eine Solaranlage haben.
Und die Begeisterung wollen Sie jetzt mit einer neuen Steuer entfachen?
(lacht) Die Begeisterung hängt natürlich auch davon ab, dass man gute Strassen hat – und diese müssen finanziert werden. Dabei braucht es eine gewisse Gleichberechtigung von E-Autos und Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Heute werden unsere Nationalstrassen vollständig über die Mineralölsteuer finanziert, also über Abgaben auf fossilen Treibstoff. Ein Elektroauto beansprucht jedoch genau die gleiche Fläche wie ein Benziner. Natürlich ist es eine Gratwanderung: Der Ausbau der Elektromobilität darf durch neue Abgaben nicht ausgebremst werden. Die Weiterentwicklung muss deshalb Hand in Hand gehen mit Fördermassnahmen, wie sie ein neues CO₂-Gesetz allenfalls vorsehen könnte.
Der Bundesrat hat am Freitag Ihr Vorhaben abgesegnet, ab 2030 eine E-Auto-Steuer einzuführen. Zwei Varianten gehen in die Vernehmlassung: Die erste sieht die Besteuerung nach gefahrenen Kilometern vor. Die zweite Variante nimmt den Stromverbrauch zum Massstab und wäre technisch anspruchsvoller: Es bräuchte geeichte Zähler an der Ladestation. Haben Sie einen Favoriten?
Unabhängig von technischen Herausforderungen erscheint mir eine Besteuerung nach verbrauchter Kilowattstunde Strom als die logischere Lösung, da sie Technologieneutralität schafft. Analog zur Mineralölsteuer von knapp 80 Rappen müssten E-Auto-Fahrer den vergleichbaren Preis pro gefahrene Kilowattstunde entrichten – also rund 23 Rappen. Wer ein schwereres Elektroauto fährt, zahlt dadurch automatisch mehr als jemand mit einem leichteren Wagen.
Hintergrund der neuen Steuer ist, dass im Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds, kurz NAF, ein Loch droht. Letztes Jahr sind dessen Reserven erstmals gesunken, von 3,83 Milliarden Franken auf 3,67 Milliarden Franken. Können Sie mit der Einführung der E-Auto-Steuer eine Benzinpreiserhöhung verhindern?
Nach heutigem Stand gehen wir davon aus, dass der NAF genügend Mittel hat, wenn sich die Elektromobilität wie erwartet entwickelt und wir die neue Steuer ab 2030 einführen. Eine Benzinpreiserhöhung ist entsprechend nicht vorgesehen. Aber ein Versprechen abgeben kann ich nicht. Die Situation kann sich schnell wieder ändern. So sind wir bei der Einführung der E-Auto-Steuer vom Volkswillen abhängig, da es eine Verfassungsänderung braucht.