Der schwarze BMW i7 beschleunigt, bremst, beschleunigt, bremst, es entsteht ein merkwürdiges Schaukelgefühl. Albert Rösti sitzt zum ersten Mal selbst am Steuer «seiner» Bundesratslimousine. Er ist das sensibel reagierende Gaspedal nicht gewohnt, der Wagen fährt vollelektrisch.
Hinter den getönten Fenstern zieht die Agglomeration von Bern vorbei. «Der Abstandstempomat, der ist hier, oder?», ruft Rösti seinem Fahrer zu, der ausnahmsweise auf der Rückbank sitzt, eingeklemmt zwischen Röstis Sprecherin und dem Journalisten. «Nein, links, ja, der.» – «Ich habs gleich!»
Der Bundesrat betätigt einen Knopf, das Tempo der Limousine stabilisiert sich, und die Gedanken gehen vom flauen Gefühl im Magen zurück zum eigentlichen Thema: dem Ausbau der Autobahnen.
Am 24. November stimmt die Schweiz über sechs Projekte ab, die 4,9 Milliarden Franken kosten. Albert Rösti vertritt die Vorlage als Verkehrsminister.
Die Strecke, die er an diesem Tag zurücklegt, soll ausgebaut werden. Wir fahren von Bern nach Oensingen, Rösti wird sich für einen Teil selbst ans Steuer setzen.
Röstis wichtigstes Argument gegen Vorwürfe: Die Milliarden für die Bahn
Los gehts kurz nach Mittag beim Bundeshaus. Während die Limousine geräuschlos anfährt, erzählt er von der heftigen Gegenwehr, die sich gegen die Autobahnausbauten aufgebaut hat. «Ich bin schon ein wenig überrascht. Es geht hier ja nicht um ‹Rösti-Projekte›. Die Ausbauten wurden schon unter meinen Vorgängerinnen Simonetta Sommaruga und Doris Leuthard vorangetrieben.»
Aus Röstis Sicht sind die drei Tunnel und drei Spurausbauten dringend notwendige Korrekturen an überlasteten Knotenpunkten. Das Schweizer Autobahnnetz entstand vor über 50 Jahren, in der Zwischenzeit nahm die Bevölkerung um mehrere Millionen zu. Rösti sieht es so: Die Strassen sind mit der Bevölkerung nicht mitgewachsen. Das muss man nachholen, wenn man ständige Blockaden vermeiden will.
In den Augen von Grünen, SP, GLP und den Umweltverbänden ist dagegen jedes grössere Autobahnprojekt ein Sündenfall. Weil dadurch die Kapazitäten des Abschnitts erhöht würden und weil man dadurch ein falsches politisches Signal aussende. Man müsste den Verkehr intelligenter steuern, fordern progressive Politikerinnen, sekundiert von Verkehrsplanern. Nach dem Motto: Technologie statt Beton.
Albert Rösti schüttelt den Kopf. An der Technologie seien seine Experten längst dran, von intelligenten Verkehrsampeln bis zu Regeln für autonomes Fahren, die ab 2025 gelten. «Man darf Technologie und Infrastruktur nicht gegeneinander ausspielen.» Die Schweiz stecke mit den nächsten Ausbauschritten 28 Milliarden Franken in die Eisenbahn, um deren Anteil am Gesamtverkehr trotz Bevölkerungswachstum leicht zu erhöhen. «Das ist ein Vielfaches mehr, als wir in die Autobahn investieren.»
Die Bahnmilliarden sind Röstis wichtigstes Argument gegen Vorwürfe, er würde mit den neuen Spuren zusätzlichen Verkehr generieren. Zuglinien sollen so attraktiv bleiben, dass Pendlerinnen und Pendler nicht aufs Auto wechseln.
«Echli falsch mitsingen, das gehört schon dazu»
Albert Röstis erster Wagen war ein oranger Opel Kadett, der seiner Frau gehörte. Es folgte ein Ford Mondeo (Occasion) – es ist die Auto-Biografie eines Pragmatikers. Als Parteipräsident erwarb er einen grösseren Volvo S90. Wichtigstes Gerät im Fahrzeug: die Freisprechanlage. Als vieltelefonierender SVP-Präsident legte Rösti zeitweise 40’000 Kilometer im Jahr zurück, das entspricht einer Umrundung der Erde den Äquator entlang. Am Radio lief jeweils Swiss Pop oder ein Schlagersender, «und ja, laut Musik hören, wenn niemand dabei ist, und echli falsch mitsingen, das gehört schon dazu».
Wir fahren auf der dreispurigen A1 stadtauswärts (das Radio ausgeschaltet). Auf diesem Abschnitt staut sich der Verkehr täglich. «Auch der Gesamtbundesrat sass hier auf dem Weg nach Magglingen kürzlich eine halbe Stunde lang fest und die Berner Stadtregierung gleich mit», sagt Rösti.
Bauer an der A1: «Wir müssen unser Land zusammenhalten»
Zwei zusätzliche Fahrstreifen sollen den Verkehr verflüssigen. Das kostet Bauern links und rechts der A1 Kulturland. Natürlich, es schmerze, Ackerfläche zu verlieren, sagt Rösti, jetzt ganz Bauernsohn. Aber es gehe um wenige Hektaren.
Rechts der A1 taucht ein grosser Landwirtschaftsbetrieb auf. Rösti: «Der Bauer dort sieht die Sache differenziert. Ich habe mit ihm darüber gesprochen.»
«Der Bauer dort» heisst Peter Wyss. Am Telefon erklärt er: 0,36 Hektaren müsste er an die Autobahn abgeben, ungefähr ein halbes Fussballfeld, ein Hundertstel der Fläche seines Betriebs. Wozu also die ganze Aufregung? «Wir sind hier in der Agglo, da wird ständig gebaut, von Bushaltestellen bis Velowege», entgegnet Wyss. Seine Söhne wollten eines Tages den Hof übernehmen. «Wir müssen unser Land zusammenhalten.»
Wyss lag wegen des Projekts lange mit dem Bundesamt für Strassen im Clinch. Im November 2023 traf er an einer SVP-Wahlfeier zufällig Albert Rösti – und sprach ihn darauf an. «Drei Tage später rief mich der Direktor des Bundesamts für Strassen an, und wir sind wieder ins Gespräch gekommen.»
Skeptisch bleibt SVP-Mitglied Wyss trotzdem. Er beobachte den Grauholz-Stau jeden Tag, und er sei sich nicht sicher, ob dieser sich mit neuen Spuren beheben lasse. Wyss vermutet, dass sich der Engpass einfach weiter stadtauswärts verschiebt. Ob er am 24. November trotzdem Ja stimmt? «Wenn wir Ersatz für unser Land bekommen: dann ja. Wenn nicht: dann nein.»
Her mit den zusätzlichen Spuren!
Raststätte Grauholz, Kaffeepause. Unter den Gästen, die Rösti neugierig mustern, ist der Fall klar: her mit den zusätzlichen Spuren! «Wir verlieren einfach zu viel Zeit auf der Strasse», sagt eine Reisende.
Rösti erzählt inzwischen von Los Angeles, das er gut kennt. Sein Sohn lebt dort. «Ich verstehe schon, dass zusätzliche Fahrstreifen abschreckend wirken. Sieben Spuren pro Richtung – und trotzdem ist alles verstopft.» Nur könne man den kalifornischen Moloch nicht mit der Schweiz vergleichen. Wegen des öffentlichen Verkehrs, der in Los Angeles so gut wie inexistent sei. Und wegen der schieren Grössenverhältnisse: «Bei uns ist alles eine Klasse bescheidener.»
Und das ist ihm ganz recht so. Auch wenn er als Infrastrukturminister für die grössten Bauten des Landes verantwortlich ist, sagt er: «Ich will nicht das Gesicht der Schweiz verändern.» Eine Schweiz aus drei Metropolen, dazwischen jede Menge Grün? Nicht die Vision von Albert Rösti.
Der Konservative in ihm will Konstanz. Ein gutes Beispiel dafür ist Mobility-Pricing, also die Idee, für jeden zurückgelegten Kilometer – sei es im Zug, Bus oder Auto – einen Preis zu verrechnen. Verkehrsexperten fordern seit vielen Jahren, damit zu experimentieren. Rösti verbirgt seine Skepsis nicht. Ja, man werde in der Schweiz Pilotversuche machen. Aber: «Am Ende ist Mobility-Pricing kaum mehrheitsfähig, weil es die Leute auf dem Land stark trifft, vor allem jene mit wenig Geld.»
Nein, jetzt gehe es erst einmal darum, die gröbsten Verstopfungen im Verkehrsnetz aufzuheben.
Womöglich liegt hier eine Ursache, weshalb Rösti von Verkehrsplanern so kritisiert wird, ganz abgesehen von seiner Parteizugehörigkeit. Die Gegner eines Autobahnausbaus wünschen sich einen Tabubrecher, der das Schweizer Verkehrssystem radikal neu denkt. Aber sie haben Albert Rösti bekommen, einen Realpolitiker, der ohne Notizen die Details jedes Grossprojekts zwischen Genf und Schaffhausen herunterrasselt, aber bei visionären Ideen wie einer schweizweiten unterirdischen Metro nur mit den Schultern zuckt.
Und der am Steuer der Bundesratslimousine lieber 95 statt der erlaubten 100 km/h fährt, mit dem Kommentar: «Ich bin gern als defensiver Automobilist unterwegs.»