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Veröffentlicht am 30. Juli 2025

«Ich bin stolz auf unser Politsystem»

Bundesrat Albert Rösti erklärt im Interview mit der Coopzeitung, wie sich die Lebensmittelverschwendung verringern lässt, was er im Strassenverkehr mühsam findet und ob in der Schweiz ein landesweiter Blackout beim Strom möglich ist. Und er redet darüber, was er vom 1.-August-Feuerwerk hält.

Coopzeitung, 30.07.2025

Andreas W. Schmid und Silvan Grütter

Albert Rösti, bringen Sie, wenn Sie zu Hause sind, manchmal den Abfallsack nach draussen?

Ja, und das ohne Aufforderung! (Lacht.) Meine Frau arbeitet ebenfalls. Wenn niemand zu Hause ist, erledige ich, was an Haushaltsarbeiten anfällt. Das gehört dazu.

Trennen Sie den Müll?

Ja, Alu und Glas – und die organischen Abfälle kommen auf den Misthaufen, den wir wegen unseres Pferdes haben.

Können Sie garantieren, dass sich kein Food Waste in Ihrem Müllsack befindet?

Der Kompost hilft schon. Allerdings geht für mich der Begriff weiter. Wenn zu viel Lebensmittel eingekauft werden und später im Abfall landen, ist das für mich auch Food Waste. Das Ziel muss deshalb sein, dass man so viel einkauft, wie man verwertet, damit keine Lebensmittel im Abfall landen.

Leitmotiv des UVEKs ist Nachhaltigkeit. Was tut der Bund, damit es in der Schweiz weniger Food Waste gibt?

Ich möchte betonen, dass es wichtig ist, in diesem Bereich etwas zu unternehmen. Meine Vorgängerin Simonetta Sommaruga hatte seinerzeit einen Aktionsplan aufgestellt und eine Vereinbarung mit den wichtigsten Lebensmittelherstellern und dem -handel – darunter auch Coop – auf freiwilliger Basis getroffen. Denn dass 30 Prozent der Lebensmittel im Abfall landen, ist einfach zu viel. Deshalb hoffe ich, dass dieser hohe Wert weiter sinken wird.

Wenn es um eine nachhaltigere Lebensweise geht, fällt auch immer wieder das Stichwort Dekarbonisierung – dass man also versucht, die Treibhausgasemissionen, die mit dem Konsum von Lebensmitteln verbunden sind, zu reduzieren.

Ich finde, dass die Menschen selber bestimmen sollen, was und wie sie essen wollen. Ob vegan, vegetarisch oder mit Fleisch, alles soll seinen Platz haben. Sonst verärgern wir die Leute nur. Auch darum sehe ich die grössere Hebelwirkung beim Food Waste. Da können wir viel schneller viel mehr erreichen.

Der Bund setzt also stark auf freiwillige, eigenverantwortliche Massnahmen. Reicht das, um die Ziele zu erreichen, oder braucht es doch mehr?

Ich finde es besser, die Unternehmen jene Massnahmen ergreifen zu lassen, die für sie auch wirtschaftlich Sinn machen, als ihnen von oben herab irgendwelche Regulierungen aufzuzwingen. Die Lebensmittelbranche trägt die Vereinbarung grösstenteils mit, das ist ein Erfolg. Und weil sich diese Branche in der Schweiz auf eine überschaubare Anzahl von grösseren Betrieben konzentriert, ist die Wirkung umso spürbarer. Eine Auswertung der Zahlen wird Ende Jahr zeigen, wo wir stehen.

Was könnte aber eine Regulierung sein, die auf jeden Fall Sinn macht?

Im Bereich der Haltbarkeitsdaten liesse sich sicher noch etwas machen. Da gelten zu viele Lebensmittel als abgelaufen, obwohl sie noch lange geniessbar wären. Wir haben doch alle schon ein Jogurt konsumiert, das ein paar Tage über dem Datum hinaus im Kühlschrank stand. Geschadet hat es uns trotzdem nicht. Meiner Meinung müsste man besser unterscheiden zwischen Verkaufs- und Haltbarkeitsdatum. Das ist nämlich nicht dasselbe.

Wie verpflegen Sie sich unter der Woche?

Morgens esse ich nicht viel, auch wenn man das sollte. Aber mein Motor ist dann noch nicht gestartet. Ich habe das grosse Privileg, dass meine Weibelin früher im Gastgewerbe tätig war und sehr gut kocht. Sie bereitet mir manchmal etwas für den Mittag zu. Zum Beispiel Penne mit Ghackts oder ein Kotelett mit «Härdöpfeln». Das esse ich im Büro, dann kann ich nebenher etwas lesen, zum Beispiel zur Vorbereitung. Das ist ideal, denn mein Tag ist ziemlich voll.

Was ist Ihr Lieblingsgericht?

Piccata Milanese mit Rösti. Am liebsten im «Rössli» in Uetendorf. Dort gab es die klassische Piccata mit Spaghetti. Ich fragte dann, ob man stattdessen auch eine Rösti zubereiten könne. Seitdem gibt es dort die Piccata milanese als Bundesratsmenü.

Reden wir über den Verkehr. Wie nehmen Sie diesen auf den Schweizer Strassen wahr?

Als Bundesrat erlebe ich den Verkehr als etwas Positives, weil wir sowohl mit dem Strassen- als auch dem Eisenbahnnetz eine sehr gute Grundlage haben. Als Privatperson finde ich den Stau in den Stosszeiten mühsam. Der Strassenverkehr ist schneller gewachsen als die Kapazitäten. Und einfacher wird es nicht, nachdem der Autobahnausbau ja in der Abstimmung vom November abgelehnt worden ist.

Was kann man tun?

Wir unternehmen schon einiges. Zum Beispiel richten wir die Lichtanlagen auf den Autobahnen so ein, dass sie nach Verkehrsdichte schalten. Bei hohem Verkehrsaufkommen hat sich gezeigt, dass man mit Tempo 80 den besten Verkehrsfluss erreicht. 60 wäre zu langsam, bei Tempo 100 sind die Abstände zwischen den Fahrzeugen zu gross. Ein weiteres Beispiel: Wir setzen auch immer mehr auf die Benutzung von Pannenstreifen. Natürlich nicht überall, aber auf gewissen Abschnitten trägt diese Massnahme massiv zur Verkehrsentspannung bei. Klar ist: Wir brauchen einen Kapazitätsausbau, müssen aber auch schauen, was mehrheitsfähig ist. Die Kombination der sechs Projekte in der Abstimmung war sicher nicht ideal.

Wie sieht es in den Städten aus? Da können Sie nicht einfach die Kapazitäten ausbauen.

Der Hauptverkehrsträger in der Schweiz ist immer noch das Auto. In den Städten gilt es, ein gutes Angebot mit dem ÖV und Park and Ride herzustellen. Wir arbeiten diesbezüglich an so genannten Verkehrsdrehscheiben, bei denen alle Verkehrsträger ihren richtigen und berechtigten Platz haben.

Coop beliefert mit dem Tochterunternehmen Railcare alle Regionen der Schweiz via Schiene. Was tut der Bund, um solche Angebote zu fördern?

Unser gesamtschweizerisches Güterverkehrsgesetz, das wir soeben verabschiedet haben, zielt in dieselbe Richtung. Es soll mit einem Anreizsystem verhindern, dass zu viele Güter auf der Strasse transportiert werden. Ansonsten wollen wir uns nicht zu sehr einmischen. Es ist Sache der Kantone sowie der Städte und Gemeinden, dass sie sich um Themen wie das Parkplatzmanagement oder Carsharing kümmern.

Elektromobilität ist in aller Munde. Wie gut ist da die Schweiz unterwegs?

Unser Ziel der Dekarbonisierung sieht vor, dass wir beim Verkehr auf Elektromobilität umsteigen. Letztes Jahr hat der Verkauf von Elektrofahrzeugen jedoch stagniert. Es ist eine gewisse Zurückhaltung bei den Käuferinnen und Käufern zu spüren. Ich glaube aber, dass der Umschwung gelingen wird. Dies auch deshalb, weil immer mehr günstige E-Modelle auf den Markt kommen.

Fahren Sie selber elektrisch oder mit Benzin?

Ich habe für Herbst ein elektrisches Auto bestellt. Aber um auf Ihre Ursprungsfrage zurückkommen: Die Lademöglichkeiten können sicher noch weiter ausgebaut werden, gerade in Mehrparteiengebäuden. Da haben es Autofahrerinnen und Autofahrer in Einfamilienhäusern einfacher, die können das Auto sogar mit ihrer Solaranlage laden. Auf den Autobahnen ist die Situation betreffend Lademöglichkeiten gut. Wir wollten bis Ende 2025 erreichen, dass 50 Prozent der Neuwagen elektrisch betrieben werden. Wir sind jedoch erst bei 27 Prozent. Das ist zu wenig.

Es gibt immer wieder Vorstösse, auch die Velofahrenden zur Kasse zu bitten. Wie stehen Sie dazu?

Ich sehe das eher nicht. Wenn ich aber die Gelegenheit nutzen darf: Wichtig wäre, dass sich die Velofahrerinnen und Velofahrer an die Verkehrsregeln halten. Wir sehen ja in der Statistik, dass die Unfälle gerade mit den viel schnelleren E-Bikes zugenommen haben. Sicherheit ist ein Thema für alle, die sich im Verkehr bewegen.

Sagen Sie das nun als Bundesrat oder als früherer Präsident von «Auto Schweiz»?

(Lacht.) Ich habe absolut nichts gegen Velos. Aber die Statistiken zeigen, dass es wegen der höheren Geschwindigkeit, zu denen die E-Bikes fähig sind, mehr Unfälle gibt.

Im April gab es in Spanien und Portugal einen riesigen Blackout. Wie gut sind wir in der Schweiz dagegen gefeit?

Ich sage es so: Die Wahrscheinlichkeit, dass bei uns etwas Ähnliches passiert, ist gegenwärtig sicher kleiner, weil wir das deutlich stärkere Energienetz haben. Bei uns bestehen zudem erst 10 Prozent des gesamten Netzes aus fluktuierendem Solarstrom, während der Grossteil von Wasser- und Kernkraft garantiert wird, die zuverlässig liefern. Andererseits sind wir zu einem guten Stück vom Ausland abhängig. Wenn dort also etwas passiert, besteht die Gefahr, dass wir das Problem importieren. Dafür haben wir mit vorbehaltenen Beschlüssen des Bundesrates vorgesorgt.

Der Bau von Wasser- und Windkraft wird massiv verzögert. Was lässt sich dagegen tun? Und: Was droht uns, wenn es in diesem Tempo weitergeht?

Dann droht uns das Szenario, dass wir irgendwann zu wenig Strom haben werden. Denn unser Bedarf wird sicher weiter zunehmen. Wenn wir den ganzen Verkehr elektrifizieren, benötigen wir 17 Milliarden Kilowattstunden. Gleichzeitig haben wir beispielsweise mehr Wärmepumpen, die zusätzlich Strom brauchen. Aber auch die Industrie beansprucht immer mehr Strom. Es ist deshalb klar, dass wir irgendwann zu wenig davon haben, wenn es in diesem Tempo weitergeht. Deshalb diskutieren wir im Parlament einen Beschleunigungserlass, um die Verfahren etwa von neuen Anlagen, die wir dringend benötigen, zu beschleunigen. Zusätzlich habe ich eine kurzfristige, eine mittelfristige und eine langfristige Strategie entwickelt, um eine Mangellage zu verhindern.

Wie sehen diese Strategien aus?

Kurzfristig: Dass wir im Notfall Reservekraftwerke wie Öl oder Gas in Betrieb setzen. Mittelfristig: Wir wollen mehr Strom aus Wasser-, Wind- und Solaranlagen. Hier geht es allerdings wegen Einsprachen nur sehr zögerlich voran. Langfristig: Wir müssen offen sein für alle Technologien, deshalb gibt es von Seiten des Bundesrats einen indirekten Gegenvorschlag zur sogenannten Blackout-Initiative, dass man wieder Kernenergie nutzen kann. Denn auf diese müssen wir irgendwann umschwenken, wenn weiterhin alle anderen Technologien blockiert werden.

Was raubt Ihnen in Ihrem Amt am meisten Energie?

Dass die ganzen Prozesse, um ein Projekt zum Funktionieren zu bringen, einfach sehr lange dauern.

Wie tanken Sie neue Energie für Ihr Amt?

Mit der Familie. Ich habe eine liebe Frau und zwei erwachsene Kinder. Mit ihnen über etwas sprechen zu können, ohne dass es gleich auf die Goldwaage gelegt wird, ist schon sehr wertvoll. Dazu ein bisschen Sport, ein bisschen joggen und Velo fahren, so wie der Durchschnittsschweizer halt.

Erzählen Sie bitte von einer besonderen Begegnung, die Sie als Bundesrat erlebt haben!

Oh, da gibt es viele. (Überlegt.) Letztes Jahr kam ein Mann auf mich zu und sagte, dass er mir wegen der neuen Wolfsverordnung einen Wolf vorbeibringe. Ich dachte, er mache einen Witz. Doch dann erschien er tatsächlich in meinem Departement und brachte einen Wolf mit, allerdings einen aus Holz. Den hatte er geschnitzt. Das fand ich eine schöne Überraschung.

Bald ist 1. August. Letztes Jahr traten Sie am Nationalfeiertag sieben Mal auf. Wie viele Reden werden es dieses Jahr sein, und nach welchen Kriterien kommt eine Ortschaft zum Handkuss?

Dieses Jahr sind es sechs Reden, allerdings auf zwei Tage verteilt. Wir haben im Departement ein Anlassteam, das die Anfragen der Orte entgegennimmt. Am Ende bin ich es, der auswählt. Da achte ich darauf, dass ich nicht jedes Jahr in derselben Ecke auftrete. Meist gibt es irgendeinen Berührungspunkt zu einer Ortschaft. Das spielt natürlich auch eine Rolle, ebenso das Motto «First come, first served».

Auf was sind Sie am 1. August am meisten stolz?

Auf das Schweizer Politsystem. Dass wir schon seit so langer Zeit die direkte Demokratie aufrecht zu halten vermögen. Auch dass alle grossen Parteien in der Regierung vertreten sind und immer nur einzelne Mitglieder ersetzt werden müssen. Das sorgt für eine enorme Stabilität. Wenn Sie eine weniger technokratische Antwort wollen, dann nenne ich die Landschaft. Nirgends ist sie so schön wie hier in der Schweiz.

Doch obwohl wir in der Schweiz mitbestimmen können, nutzt oft nicht mal die Hälfte der Bevölkerung diese Möglichkeit. Nervt Sie das manchmal?

Ja, durchaus. In anderen Ländern sterben die Menschen, weil sie mitbestimmen wollen. Man kann die tiefe Beteiligung bei uns aber auch so interpretieren: Offenbar sind die Menschen mit den Verhältnissen zufrieden. Und spüren deshalb gar nicht das Bedürfnis, etwas ändern zu wollen.

Feuerwerk am 1. August – ja oder nein?

Ja, das gehört dazu. Man muss den Menschen nicht alles wegnehmen. Ob es aber überall so laut «chlöpfen» muss, sei dahingestellt. Für die Tiere ist es sicher eine Tortur. Auch wegen ihnen könnte man sich durchaus ein wenig zurückhalten.

Albert Rösti, wir danken Ihnen für das Gespräch.