Herr Rösti, wann standen Sie zuletzt im Stau?
Gestern Abend.
Wo?
Wo war das schon wieder? Es war sicher auf der A1, aber nicht in der Nähe eines der Ausbauprojekte.
Und darum braucht es ein Ja am 24. November?
Nein, nicht weil ich im Stau gestanden bin, sondern weil viele Menschen täglich pendeln und der Güterverkehr über die Autobahn abgewickelt wird. Jeden Tag stehen sie im Stau. Mit diesen sechs Projekten entschärfen wir gezielt Engpässe. Auf 45 von 2200 Kilometern Nationalstrasse soll der Verkehr wieder fliessen und der Ausweichverkehr von den Dörfern zurück auf die Autobahn gebracht werden.
Welche Bedeutung hat die Autobahn für die Schweiz?
Die Autobahn ist für mich wie die Bahn die Arterie des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Funktionierens der Schweiz. Sie macht nur 3 Prozent der Gesamtlänge aller Strassen aus. Doch rollen 40 Prozent des Verkehrs und 70 Prozent des Güterverkehrs darüber. Wenn die Autobahn nicht funktioniert, haben wir ein Problem.
Eines Ihrer Hauptargumente ist, dass durch den Ausbau der Ausweichverkehr in Dörfern abnimmt. Zahlen des Bundes zeigen jedoch, dass die Verkehrszahlen an gewissen Orten lediglich stabil bleiben. Streuen Sie der Bevölkerung Sand in die Augen?
Absolut nicht. Der Ausweichverkehr wird praktisch überall abnehmen, wenn auch teilweise nur leicht. Doch 1000 Fahrzeuge mehr oder weniger pro Tag machen einen Unterschied. Im Blick habe ich auch die Zeitachse: Was geschieht, wenn wir nichts tun? Dann wird der Ausweichverkehr stetig zunehmen.
Gegner behaupten, mit dem Ausbau werde das Stauproblem nicht gelöst. Sie widersprechen.
Ja, ich widerspreche. Nur ein paar Beispiele. Vor dem Bau der Autobahn hatte man früher beim Walensee immer einen riesigen Stau. Auch im Raum Zürich hat sich die Situation in den letzten zehn Jahren dank einem Ausbau auf sechs Spuren verbessert. Die Umfahrung Biel funktioniert sehr gut. Das bestätigt auch die Stadt selbst – die Umfahrung sei ein Glücksfall. Wir müssen natürlich zugeben: Wenn die Bevölkerung weiter wächst wie bisher, dann gibt es wieder mehr Verkehr, aber nicht wegen der sechs Projekte.
Kündigen Sie da schon den nächsten Autobahnausbau an?
Natürlich nicht. Ich sage nur, das wird eine politische Frage sein, etwa wie es mit der Zuwanderung weitergeht. Jede Generation ist dafür verantwortlich, für die nächste Generation ein gesellschaftlich erfolgreiches Leben zu ermöglichen. Meine Generation hat das bekommen, mit einem hervorragend ausgebauten Schienen- und Strassennetz. Jetzt stehen wir in der Verantwortung.
Müsste man nicht langfristiger denken? Wie sehen Sie die Zukunft der Verkehrsmobilität?
Wir planen alle Projekte mit dem Zeithorizont 2050. Ich würde sagen, dass ist sehr langfristig. Prognosen für die Zeit danach scheinen mir nicht seriös zu sein. Bis 2050 möchten wir übrigens auch den Anteil des Schienenverkehrs erhöhen.
Wie soll das gelingen?
Wir stecken mehr Geld in die Schiene als in die Strasse. Für die nächsten 20 Jahre sind Projekte in der Höhe von 27 Milliarden Franken geplant, für die Strasse sind es 20 Milliarden. Der Verlagerung auf die Schiene sind jedoch auch Grenzen gesetzt. Im Güterverkehr ist die Feinverteilung nur mit Lastwagen möglich.
Rechnen Sie bis 2050 auch mit radikaleren Lösungen wie etwa Mobility Pricing?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich sehe nicht, wie Mobility Pricing mehrheitsfähig umgesetzt werden kann. Das würde ja bedeuten, dass jeder Kilometer mehr kostet oder es zu Stosszeiten teurer wird. Das schafft Benachteiligungen für Menschen mit weniger flexiblen Arbeitszeiten. Gemäss unseren Prognosen müsste das Verkehrsaufkommen auch ohne solche Massnahmen bewältigt werden können.
Im «Tages-Anzeiger» meldeten sich kürzlich 340 Verkehrsexperten, die sich gegen diese Vorlage stemmen. Sie werfen Ihnen genau eine mangelnde Langfristplanung und Unvereinbarkeit mit anderen Zielen des Bundes vor.
Darüber habe ich gestaunt. Ich begleite diese Vorlage seit zwei Jahren im Bundesrat. Nicht ein einziges Mal habe ich persönlich von diesen Experten ein Wort gehört. Kein Brief, nichts. Jetzt, zwei Wochen vor der Abstimmung, tauchen sie plötzlich auf. Das ist eine politische Instrumentalisierung, nichts weiter.
Das ist aber noch kein inhaltlicher Konter.
Ich war jetzt auf vielen Podien unterwegs und kenne diese Meinung. Letztlich steckt dahinter die Frage, ob die Schweiz die Wahl ihres Verkehrsmittels weiterhin dem mündigen Bürger überlassen will oder nicht. Mehr Einschränkungen bei der Mobilität, staatliche Vorschriften zum Verhalten der Leute: Das ist nicht meine Politik.
Beim Strom kam die Opposition aus der SVP, jetzt von links. Was ist Ihnen lieber: Ein Abstimmungskampf gegen die eigene Partei oder gegen Rot-Grün?
Gegen die eigene Partei ist deutlich unangenehmer. Es ist nicht einfacher, der Widerstand ist beträchtlich. Das hatten wir auch erwartet. Aber gegen die eigene Partei anzutreten: Das tut man nicht gerne.
Zu reden gab auch der Benzinpreis, weil diese sechs Projekte aus dem Nationalstrassen-Fonds (NAF) bezahlt werden. Fallen die Reserven des NAF unter 500 Millionen, muss im Jahr davor der Mineralölzuschlag um 4 Rappen erhöht werden. Korrekt?
Korrekt.
Dennoch sagen Sie, aufgrund dieser Vorlage wird der Benzinpreis nicht steigen.
Zunächst einmal schwankt der Benzinpreis aufgrund der geopolitischen Lage ohnehin stark. Dann aber hat diese Vorlage keinen Einfluss auf den Benzinpreis, weil die darin enthaltenen sechs Projekte erst ab 2033 finanziert werden müssen. Wenn jetzt in der Zeit davor der NAF unter 500 Millionen Franken sinken sollte, dann muss der Benzinzoll erhöht werden, das ist richtig. Das kann aber mit einer Priorisierung von Projekten auch verhindert werden. Und bereits ab 2030 rechne ich wieder mit einer Entspannung, weil ab dann auch Elektro-Fahrzeuge besteuert werden sollen.
Das steht in der Botschaft des Bundesrats zu dieser Vorlage anders. Dort erfolgt die Voraussage für die NAF-Reserven «unter Berücksichtigung des in dieser Vorlage vorgeschlagenen Zahlungsrahmens». Demnach soll es per 2026 zu einer Erhöhung des Mineralölzuschlags kommen.
In der Botschaft kann dies missverstanden werden. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen diesen sechs Projekten und einer Erhöhung des Benzinzolls. Ich habe mir diese Zahlen bestätigen lassen: Bis die Projekte fertiggestellt sind, liegen die Einnahmen höher als die Ausgaben für alle geplanten Projekte. So halten wir die Liquidität beim NAF im Lot. Was aber auch stimmt: Eventuell kommt es bis 2030 zu einem Liquiditätsengpass, verursacht durch aktuell laufende Projekte. Diese sind aber nicht in dieser Vorlage enthalten. Die Prognose der Liquidität des NAF ist, wie bei Finanzprognosen üblich, konservativ gerechnet und mit Unsicherheiten verbunden. Ich habe zudem die Möglichkeit, Projekte vorzuziehen oder eben nach hinten zu verschieben, sodass es keine Erhöhung des Benzinzolls braucht, weil die Schwelle von 500 Millionen Franken gar nicht unterschritten würde.
Die Botschaft ist nicht präzise?
Ja. Ich könnte mich hier rausreden, als diese Botschaft geschrieben wurde, sei ich noch nicht im Amt gewesen. Das wäre aber etwas billig, weil korrigiert habe ich es zugegebenermassen auch nicht. Unbestritten ist aber der Umkehrschluss: Auch bei einem Nein zu dieser Vorlage kann es zu einer Benzinzoll-Erhöhung kommen. Diese beiden Dinge haben einfach nichts miteinander zu tun.
Die Finanzverwaltung sieht das anders. Bei der Ämterkonsultation zum Abstimmungsbüchlein hat die Finanzverwaltung interveniert, wie wir aus öffentlich einsehbaren Dokumenten wissen.
Dass nach der Ämterkonsultation Anpassungen an das Abstimmungsbüchlein vorgenommen werden, ist Teil des Prozesses. Die Finanzverwaltung hat bei dieser Aussage das Timing ebenfalls nicht in Betracht gezogen. Bei der Beschlussfassung war dies kein Thema. Dass sich die EFV prohibitiv für Mehreinnahmen einsetzt, ist allerdings auch nicht überraschend. Weil es eine hochpolitische Frage ist, habe ich mich auch so genau damit auseinandergesetzt.
Es entsteht der Eindruck, Sie wollen einen Zusammenhang zwischen Autobahn-Ausbau und Benzinpreis möglichst vermeiden.
Nein, das will ich nicht vermeiden. Der Autobahnfahrer zahlt den Autobahnausbau zu 100 Prozent, das ist ein Fakt. Was ich sagen will: Dieser Ausbau kommt die Autofahrer nicht teurer. Und was ebenfalls wichtig ist: Die Besteuerung der Elektromobilität ab 2030 wird eine grosse Rolle spielen. Dazu starten wir nächstes Jahr eine Vernehmlassung.
Geben Sie uns eine Vorschau: Werden E-Autos mehr, gleich viel oder weniger bezahlen müssen als Benziner?
Die genauen Zahlen habe ich noch nicht und es gibt auch verschiedene Varianten. Ich kann aber sagen: ungefähr gleich viel.
Und was ist eigentlich Ihr Plan B bei einem Nein zu diesem Ausbauschritt?
Politik ist nie alternativlos, aber wir hätten sicher grössere Probleme. Am meisten Sorgen machen mir jene Projekte, die unumgängliche Sanierungen abfedern. Wenn wir den Fäsenstaubtunnel sanieren müssen, ohne vorher eine weitere Röhre gebohrt zu haben, werden der Stau und der Ausweichverkehr enorm.
Verlassen wir die Strasse und wenden wir uns einem anderen Kernthema zu: Energie. Im Juni hat das Volk Ja gesagt zum Stromgesetz und 16 neuen Wasserkraftprojekten. Jetzt diskutiert das Parlament bereits über eine Verschärfung: Es will das Verbandsbeschwerderecht bei diesen Projekten aushebeln. Eine gute Idee?
Wenn ich sehe, dass bereits gegen drei zentrale Wasserkraftprojekte Einsprachen angekündigt wurden, kann ich diese Haltung nachvollziehen. Ich finde es aber keine gute Idee, die Einsprachemöglichkeiten zu beschneiden. Ich habe in der Abstimmung zum Stromgesetz gesagt, dass Beschwerden weiterhin möglich sein werden. Mit diesem Vorschlag jetzt würde mir Wortbruch vorgeworfen. In einer möglichen Referendumsabstimmung könnte das zum Problem werden. Ich bin aber überzeugt, dass diese Idee im Parlament noch intensiv diskutiert wird. Und ich selber bleibe natürlich bei der Haltung, die der Bundesrat vertritt.
Ist der Beschleunigungserlass akut absturzgefährdet, wie die Umweltschutzverbände monieren?
So im Argen sehe ich die Sache nicht. Die Vorlage gelangt nun in den Erstrat, da darf man auch mal neue Vorschläge diskutieren. Ich bin überzeugt, dass wir am Ende wieder die Balance finden. Gleichzeitig habe ich schon auch die Hoffnung, dass die Stiftung Landschaftsschutz und Aquaviva sich vor Augen führen, dass das Volk mit 70 Prozent Ja gesagt hat zu diesem Ausbau.
Dann kommen wir jetzt noch zum Wolf …
… Oh, ich glaube, wir haben keine Zeit mehr. (lacht)
Dann stellen wir einfach noch eine Frage zu den US-Wahlen.
Ou nein, dann bleiben wir lieber beim Wolf! (lacht)
Also zum Wolf. 2024 gab es deutlich weniger Risse. Ist das jetzt ein Erfolg Ihrer Wolfsjagd?
Ich denke, das ist das Ergebnis einer Summe von Massnahmen – nicht zuletzt auch dem Herdenschutz, der den Bauern hilft, die Bedrohung teilweise einzudämmen. Auch die Regulierung hilft. Für eine Bilanz ist es aber noch zu früh. Wir werden voraussichtlich per 1. Februar 2025 die neue Jagdverordnung einsetzen und dann in einigen Jahren schauen, ob die Massnahmen ausreichen.
Vergangenes Jahr wurden im Rahmen der präventiven Wolfsjagd 50 Tiere geschossen. Die neue Jagdperiode hat bereits begonnen: Wie viele sollen es dieses Mal sein?
Ich hoffe auf ein bisschen mehr. Wir hatten wiederum viele Gesuche für Abschüsse und keine Einsprachen dieses Mal. Jedes Weibchen wirft bis zu sechs Welpen, das trägt zur Verbreitung des Wolfes bei.
Sie suchen weiterhin einen Chef oder eine Chefin für die Sektion Wildtiere beim Bundesamt für Umwelt…
Nein, wir haben diese Stelle mittlerweile besetzt. Die Personalie wurde gestern kommuniziert. Es war in der Tat herausfordernd, jemanden zu finden, der die nötigen Qualifikationen mitbringt und sich diesem hochemotionalen Dossier aussetzen möchte. In diese heisse Küche geht jetzt nicht gerade jeder.
Dann bleibt jetzt noch Zeit für Ihren Kommentar zu den US-Wahlen.
Da gibt es nichts zu kommentieren. Die Bundespräsidentin hat gratuliert, der Bundesrat enthält sich der Beurteilung einer Wahl in einem souveränen Staat.
Haben Sie auch persönlich gratuliert?
Nein, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Ich habe keinen persönlichen Kontakt und kann meinen persönlichen Stellenwert in der Gesellschaft hoffentlich noch richtig einschätzen.