Herr Bundesrat Rösti, wieso soll ich als Landwirt oder Landwirtin am 24. November ein Ja in die Urne legen?
Albert Rösti: Als Bauernfamilie ist man grundsätzlich auf funktionierende Verkehrsverbindungen angewiesen. Denken Sie daran, dass Futtermittel, Düngemittel und Pflanzenschutzmittel auf den Hof geliefert werden müssen. Auch die Nahrungsmittel, die Sie produzieren, müssen rechtzeitig vom Hof zum Verarbeiter transportiert werden. Bei Tiertransporten sind lange Staus besonders problematisch, da die Tiere darunter leiden und die Transporteure das Risiko von Bussen eingehen, wenn sie zu lange unterwegs sind.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass viele als dringend eingestufte Projekte später obsolet waren, wie etwa der Zürcher Ypsilon-Anschluss. Haben Sie keine Bedenken, dass dies auch beim Autobahnausbau der Fall sein könnte?
Als das Zürcher Ypsilon geplant wurde, wollte man den Verkehr mitten durch die Städte führen. Davon ist man aus gutem Grund abgekommen. Mit dem Bau der Nord- und der Westumfahrung von Zürich wurde der Bau des Ypsilon obsolet. Der Verkehr fliesst heute rund um Zürich. Die Stadt wird vom Durchgangsverkehr entlastet. Der aktuelle Ausbau basiert auf einer längeren Planungsphase; wir bauen genau dort, wo der Verkehr schon heute stark ist und weiter zunehmen wird. Ausserdem ist klar, dass wir intensiv genutzte Tunnels wie den Rosenbergtunnel in St. Gallen und den Fäsenstaubtunnel bei Schaffhausen sanieren und erweitern müssen. So, wie wir das bereits beim Bareggtunnel erfolgreich gemacht haben.
Wie viel Fläche wird insgesamt für den Ausbau benötigt? Und was genau betrifft den Ausbau?
Der Ausbau umfasst mehrere Projekte, etwa den Ausbau des Rosenbergtunnels in St. Gallen und des Fäsenstaubtunnels bei Schaffhausen, den Neubau des Rheintunnels in Basel sowie die Erweiterung der Autobahnstrecken bei Le Vengeron, Wankdorf und zwischen Schönbühl und Kirchberg. Insgesamt reden wir hier von 50 Hektaren Fläche, davon gut 8 Hektaren Fruchtfolgeflächen. Die Fruchtfolgeflächen werden zu 100 % kompensiert. Der Rest betrifft unter anderem auch Waldflächen. Wir werden auch diese Waldflächen selbstverständlich kompensieren.
Das Parlament hat den Ausbau bis Härkingen bereits genehmigt, doch in den Debatten hört man oft nur von Kirchberg. Was passiert, wenn der Ausbau nur bis Kirchberg realisiert wird? Was sind die nächsten Schritte?
Der Ausbau von Luterbach bis Härkingen ist bereits bewilligt und wird unabhängig von dieser Abstimmung realisiert. Bis die jetzt zur Abstimmung stehenden Projekte umgesetzt werden, reden wir von einem Zeitraum bis in die 2030er- oder Anfang 2040er-Jahre. Bereits realisiert sind Blegi–Rütihof, Wiggertal–Härkingen und die Nordumfahrung Zürich. Es ist das erste Mal, dass gegen ein solches Programm ein Referendum ergriffen wurde.
Ein Bericht des Bundesamts für Strassen (Astra) zeigt, dass der Ausbau zwischen Nyon und Genf nach wenigen Jahren überlastet wäre und die Kapazität bereits 2040 wieder ausgeschöpft sei. Wie bewerten Sie diesen Bericht, der nahelegt, dass der Ausbau langfristig keine signifikante Entlastung bringt?
Unsere Erfahrungen, etwa bei der Strecke am Walensee, sind positiv. Wenn wir ein Nadelöhr beseitigen und die Autobahn ausbauen, verringert sich der Verkehr in den umliegenden Dörfern spürbar. In Zürich hat der Ausbau der zweiten Gubriströhre beispielsweise zu einer deutlichen Entlastung im Umland geführt.
Vom geplanten Autobahnausbau sind auch Waldflächen betroffen. Wie lässt sich das mit dem Schweizer Waldgesetz vereinbaren, das den Schutz von Waldflächen garantiert? Wie wird der notwendige Ersatz sichergestellt?
Für die betroffenen Waldflächen wird es Ersatzaufforstungen geben, die aber nicht auf landwirtschaftlichen Nutzflächen durchgeführt werden. Wir planen Aufforstungen auf nicht genutzten Gebieten wie stillgelegten Kiesgruben. Bei den 8 Hektaren Fruchtfolgeflächen versuchen wir, wenn möglich, Realersatz zu finden. Das Astra hat bereits signalisiert, dass dies machbar ist. Zusätzlich planen wir die Aufwertung von Industriebrachen und bestehenden Flächen.
In Anbetracht des Klimawandels: Wie stellen Sie sicher, dass der Autobahnausbau auch langfristig umweltverträglich ist? Gibt es Überlegungen, den Ausbau mit der Förderung des öffentlichen Verkehrs oder nachhaltiger Mobilitätsformen zu kombinieren?
Langfristig wird der Individualverkehr klimafreundlicher, da er zunehmend elektrifiziert wird. Dadurch wird er sich dann nicht mehr stark von der Eisenbahn unterscheiden. Mir ist wichtig, zu betonen, dass heute über 84 % des Gesamtverkehrs auf der Strasse stattfinden und wiederum 45 % davon auf den Nationalstrassen, beim Schwerverkehr sogar über 70 %. Wir investieren gleichzeitig auch in den Ausbau der Bahn, da beide Systeme an ihre Kapazitätsgrenzen stossen.
Ist eine nachhaltigere Lösung wie zum Beispiel das «Cargo sous terrain»-System für die Schweiz keine Option?
Solche Zukunftsprojekte wie eine Swissmetro scheitern derzeit noch an den Kosten. Wenn die Bevölkerung aber weiterhin so wächst wie jetzt, wird man vernünftige und tragbare Projekte in der nächsten oder übernächsten Generation sicher in Erwägung ziehen müssen.
Sie haben einmal gesagt, dass nichts schlimmer für die Biodiversität sei als der Kulturlandverlust durch Versiegelung. Wie passt das mit dem geplanten Ausbau der Autobahnen zusammen?
Diese Aussage gilt nach wie vor. Der zur Abstimmung stehende Ausbau ist jedoch sehr flächensparend. Wir nutzen bestehende Flächen entlang der Autobahn und vermeiden so zusätzlichen Landverlust. Dennoch gehen bei diesen Projekten insgesamt 8 Hektaren Kulturland verloren. Die Biodiversität steht in der Schweiz vor allem deshalb unter Druck, weil wir sonst einen Quadratmeter pro Sekunde verbauen. Es ist aber immer eine Abwägung zwischen Nutzen und Schaden. 2015 ist man davon ausgegangen, dass die Schweiz im Jahr 2050 eine Bevölkerung von neun Millionen haben würde – die haben wir aber bereits heute erreicht. Der dadurch entstehende Verkehr ist da, und wo es auf der Autobahn staut, verlagert er sich in die Dörfer. Der Nutzen dieses Ausbaus ist folglich gross, da wir den Verkehr aus den Dörfern auf die Autobahn verlagern werden, was die Lebensqualität und Sicherheit in den betroffenen Dörfern deutlich verbessern wird.
Die Landwirtschaftskammer des Schweizer Bauernverbands unterstützt den Ausbau aus strategischer Sicht, etwa auch aufgrund der Zusammenarbeit mit Economiesuisse. Der Berner Bauernverband fordert jedoch, dass landwirtschaftliche Anliegen ausreichend berücksichtigt werden. Wie kommen Sie den Landwirten entgegen?
Ich habe volles Verständnis für jeden Landwirt, der vom Ausbau betroffen ist. Es ist immer schwer, wenn die öffentliche Hand ein Grundstück beansprucht, auf dem man wirtschaftet. Wo immer möglich versuchen wir, den Betroffenen Realersatz anzubieten.
Die Schweiz wächst weiter, und Prognosen gehen davon aus, dass wir 2030 zehn Millionen Einwohner haben werden, 2045 sogar elf Millionen. Haben wir irgendwann genug Autobahnen?
Das Bevölkerungswachstum ist der Haupttreiber des Verkehrs. Mehr Menschen bedeuten mehr Mobilität. Es ist nicht so, dass durch den Kapazitätsausbau insgesamt mehr Verkehr entsteht. Wir bauen keine neuen Strassen. Was passiert, ist, dass sich der Verkehr von den Dörfern auf die Autobahnen verlagert. Diese machen nur 3 % der gesamten Strassenlänge aus, tragen aber 45 % des Verkehrs. Ohne funktionierende Autobahnen funktioniert unsere Wirtschaft nicht.