Autobahnausbau: «Es ist erstaunlich, dass die Kritik jetzt aufkommt»

In Schaffhausen wird mit dem Fäsenstaubtunnel eines der sechs Projekte des Ausbaus der Nationalstrassen realisiert, über die am 24. November 2024 das Volk entscheidet.

Schaffhauser Nachrichten, 30.10.2024

Interview von Dario Muffler


Herr Bundesrat, die zweite Röhre des Fäsenstaubtunnels und der Ausbau der A4 zwischen Schaffhausen und Herblingen spaltet Schaffhausen. Haben Sie mit so viel Widerstand gerechnet?

Albert Rösti: Ich habe damit gerechnet, dass es eine schwierige Abstimmung wird. Die Bevölkerung hat Angst, dass zu viel Land zubetoniert wird. Deshalb ist es mir wichtig, erklären zu können, dass dem nicht so ist. Gerade wie hier beim Fäsenstaub schaden wir der Landschaft nicht – ein Tunnel ist wohl das Beste, was wir tun können. Wir bauen auch keine neue Autobahnen: Es betrifft 45 von schweizweit insgesamt 2200 Autobahnkilometern.

In Ihrer Rede auf der Schaffhauser Herbstmesse haben Sie den Fäsenstaubtunnel als volkswirtschaftlich wichtiges und gutes Projekt gelobt. Gleichzeitig schneidet das Projekt in einer Gesamtanalyse des Bundesamtes für Strassen (Astra) schlecht ab. Wie beurteilen Sie diese unterschiedlichen Wahrnehmungen?

Die Gegnerinnen und Gegner in Schaffhausen haben den Eindruck, dass nur mit mehr öffentlichem Verkehr die Mobilitätsbedürfnisse befriedigt werden können. Da muss ich klar sagen, dass das nicht stimmt. Man verkennt, dass der Bahnanteil am Gesamtverkehrsaufkommen zwölf Prozent beträgt, der Individualverkehr liegt bei 75 Prozent. Die Gegnerinnen und Gegner in Schaffhausen sehen zwar ein, dass es eine zweite Röhre braucht, aber sie wollen keine Kapazitätserweiterung an den Rändern des Tunnels. Dann stimmt natürlich das Kosten-Nutzen-Verhältnis des Tunnels überhaupt nicht mehr. Die neue Kapazität durch die zweite Röhre muss ja genutzt werden. Wir wollen den Verkehr, der heute in den Quartieren ist, wieder auf die Nationalstrasse verlagern.

Sie argumentieren mit der Entlastung der Quartiere in Schaffhausen. Die Zahlen Ihres Bundesamtes für Strassen zeigen deutlich, dass in Zukunft auf gewissen Quartierstrassen bis zu 2000 Fahrzeuge pro Tag mehr fahren werden. Wie erklären Sie das den Anwohnerinnen und Anwohnern?

Bei jedem Projekt von öffentlichem Interesse gibt es leider einzelne Bürgerinnen und Bürger, die nicht direkt profitieren. Das ist bedauerlich, dafür wird der Verkehr in der Agglomeration insgesamt abnehmen. Eines muss man sehen: Die Menschen, die in Zukunft mit mehr Verkehr auf ihren Strassen leben müssen, hätten eine noch schlechtere Situation, wenn wir den Ausbau nicht realisieren würden. Denn dann haben wir eine unhaltbare Situation für alle, wenn der Tunnel saniert werden muss.

Die Gegner sagen, mit dem Ausbau werde einfach mehr Verkehr provoziert.

Das bestreite ich. Eine neue Strasse von A nach B schafft ein neues Angebot und damit auch eine neue Nachfrage, also mehr Verkehr. Wenn man aber eine bestehende Strecke für den bestehenden Verkehr ausbaut, dann schafft man keine neue Nachfrage. Mit dem Ausbau schafft man mehr Verkehr an der ausgebauten Stelle, weil er aus den Quartieren genommen wird. Dorthin fliesst der Verkehr aktuell, weil die Nationalstrasse überlastet ist.

In Schaffhausen gibt es eine Kontroverse zwischen Stadt und Kanton. Die Stadtregierung hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das dem Projekt Fäsenstaub diverse Mängel attestiert. Es wird sogar ein wirtschaftlicher Schaden für das Gewerbe in der Stadt befürchtet. Was sagen Sie dazu?

Es ist erstaunlich, dass diese Kritik jetzt aufkommt. Das generelle Projekt wurde in sehr enger Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Kanton erarbeitet. Auch die Stadtregierung hat dem Projekt zugestimmt. Nun herrscht in gewissen Kreisen die Haltung vor, dass der Bundesrat nach einem Nein doch noch einige Änderungen am Projekt vornehmen könnte. Dem muss ich widersprechen. Bei einem Nein wird es keinen zweiten Fäsenstaubtunnel geben – mit allen negativen Folgen.

Was genau passiert bei einem Nein am 24. November?

Im Prinzip bedeutet das, dass die sechs Projekte, die zur Abstimmung kommen, nicht realisiert werden können. Schaffhausen wäre mit am stärksten betroffen, weil der Fäsenstaubtunnel irgendwann saniert werden muss. Wenn es so weit ist, muss der Tunnel für mindestens drei Jahre gesperrt werden. Schon heute sehen wir, was rund um den Tunnel passiert, wenn er auch nur für kurze Zeit gesperrt ist: Es kommt zu massiven Verkehrsblockaden.

Sind bei einem Ja alle Möglichkeiten für Anpassungen am Projekt ausgeschöpft?

Welche Baustelle wohin kommt und wie der Vortrieb genau erfolgt, kann man sich in der nächsten Projektphase noch im Detail anschauen, da gibt es allenfalls noch Verbesserungsmöglichkeiten. Aber die Grundplanung steht – sie wurde vom Parlament genehmigt.

Sie haben gesagt, dass das Projekt in enger Zusammenarbeit mit Stadt und Kanton entwickelt wurde. Die städtische Baudirektorin Katrin Bernath hat aber gegenüber dieser Zeitung gesagt, sie fühle sich nicht gehört. Was entgegnen Sie Frau Bernath?

Die zuständigen Fachleute des Astra sind jederzeit bereit, ihr die Unterlagen offenzulegen. Bei einem so komplexen Projekt kann es zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Ich würde es aber bedauern, wenn die Stadt das Gefühl hätte, nicht abgeholt worden zu sein. Gleichzeitig stelle ich fest, dass die Kantonsregierung das Projekt sehr unterstützt. Deshalb glaube ich, dass es letztlich um die Frage geht, ob man das Projekt will oder nicht.

Das Ziel der Stadt, des Kantons und des Bundes ist es, den heutigen Verkehr auf den öffentlichen Verkehr und den Velo- und Fussgängerverkehr zu verlagern. Warum braucht es trotzdem einen Autobahnausbau, der diesen Zielen widerspricht?

Er widerspricht den Verlagerungszielen nicht. Wir müssen in alle Verkehrsträger investieren, weil die Bevölkerung in den letzten 50 Jahren um drei Millionen Menschen gewachsen ist. Wir investieren in den kleineren Verkehrsträger Schiene mit rund zwölf Prozent des Gesamtverkehrs deutlich mehr als in den Strassenverkehr mit 60 Prozent. Deshalb gehen wir auch davon aus, dass wir eine Verlagerung von 3 Prozent von der Strasse auf die Schiene erreichen können.

Ausserhalb des Kantons Schaffhausen gibt es auch Widerstand von Landwirten. Tut Ihnen der Kulturlandverlust als studierter Agronom nicht weh?

Grundsätzlich tut jeder Quadratmeter Kulturland, den wir verlieren, weh – nicht nur dem Agronomen, sondern jedem, der eine schöne Blumenwiese sieht. Deshalb ist es wichtig, dass wir solche Projekte flächensparend realisieren. Bei den vorliegenden Projekten gehen acht Hektar Fruchtfolgefläche verloren. Diese werden aber kompensiert. Gleichzeitig sind die Landwirte sehr stark von den Autobahnen abhängig: Die meisten Produkte, die konsumiert werden, waren einmal auf einem Lastwagen, und die meisten davon auf einer Autobahn. Das ist der Grund, warum der Bauernverband mehrheitlich dafür ist – und auch ich kann mich dahinterstellen.

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