Sie mache zu wenig für den Klimaschutz. Was war Ihr erster Gedanke, Herr Rösti, als Sie davon hörten?
Dass die Richter wohl den letzten Volksentscheid dazu nicht mitbekommen haben. Die Bevölkerung hat mit klarer Mehrheit dem Klimaschutzgesetz zugestimmt - und damit dem Ziel, den C02-Ausstoss bis 2050 auf netto null zu senken. Das ist ein klarer Auftrag. Das Gericht sagt nicht, die Schweiz habe sich keine Ziele gesetzt.
Es kritisiert, die Schweiz habe nicht genügend Massnahmen beschlossen, um diese Ziele zu erreichen.
Mit dem Klimaschutzgesetz haben wir 3,2 Milliarden Franken bereitgestellt für den Heizungsersatz und Innovationsprojekte. Das sind konkrete Massnahmen. Hinzu kommt jetzt noch das neue CCh-Gesetz. Das Urteil bedeutet, dass wir dem Europarat erklären müssen, welche Massnahmen wir ergriffen haben.
Ich glaube, da müssen wir uns keine Sorgen machen. Jetzt haben wir auch noch das Stromgesetz. Ihre Partei verlangt nun, dass die Schweiz die Menschenrechtskonvention kündigt und aus dem Europarat austritt. Zu Recht?
Ich glaube, man sollte dem Urteil mit einer solchen Aktion nicht noch mehr Beachtung schenken. Aber ich stelle mir schon auch die Frage, wie das miteinander zu vereinbaren ist: eine Bevölkerung, die direktdemokratisch entscheidet, und ein internationales Gericht.
Sie haben doch gerade darauf hingewiesen, dass die Bevölkerung das Klimaziel gutgeheissen hat. Das Gericht pocht lediglich darauf, dass dieser Entscheid umgesetzt wird.
Dasselbe Stimmvolk hat 2021 aber auch ein CCh-Gesetz mit strengeren Massnahmen - mit Abgaben - verworfen. Daran sieht man die Problematik internationaler Gerichte. Richter können diesen Volksentscheid nicht übersteuern.
Die Klimaseniorinnen argumentieren, der Klimawandel sei lebensbedrohlich wegen der immer häufigeren und intensiveren Hitzewellen - vor allem für ältere Personen. Setzt Ihnen persönlich Hitze zu?
Nein, gar nicht. Ich will damit Hitzewellen nicht verharmlosen. Für Menschen mit Blutdruckproblemen können diese ein Problem sein. Aber ich persönlich mag es lieber warm als kalt.
Am 9. Juni stimmen wir über das Stromgesetz ab, das den Ausbau der erneuerbaren Energien fördern soll. Inwiefern würde ein Ja dem Klimaschutz dienen?
Jede Kilowattstunde, die CO2freien Strom erzeugt, ersetzt fossile Energie, die im Energiemix der Schweiz nach wie vor rund 60 Prozent ausmacht. Aber natürlich, das Gesetz allein ändert das Klima nicht, dafür braucht es globale Zusammenarbeit. Priorität hat für mich darum etwas anderes: Mit dem Stromgesetz können wir das nach wie vor bestehende Risiko einer Strommangellage deutlich senken.
Bis wann werden wir genug eigenen Winterstrom haben?
Wir brauchen im Winter 6 Terawattstunden zusätzlichen Strom, das sind rund 10 Prozent der aktuellen jährlichen Stromproduktion in der Schweiz. Gelingt uns dieser Ausbau von Wasser-, Solar- und Windkraft, sind wir deutlich besser geschützt. Aber ich mache mir keine Illusionen, es dauert sicher fünfzehn Jahre, bis die Anlagen gebaut sind.
Sie sprechen von fünfzehn Jahren. In dieser Zeit könnte man fast schon ein Kernkraftwerk bauen.
Das halte ich für unmöglich. Allein der demokratische Weg braucht viel Zeit, mindestens zwei Volksabstimmungen wären nötig. Wir brauchen aber möglichst rasch mehr Strom. «Ich bin überzeugt, dass ein Obligatorium nicht nötig ist, damit PV-Anlagen auf Gebäuden installiert werden.»
Haben Sie einen Plan B für den Fall eines Nein am 9. Juni?
Ich bin zuversichtlich, dass die Bevölkerung Ja sagen wird. Letztes Jahr hat sie beschlossen, dass die Schweiz bis 2050 von den fossilen Energien wegkommt. Das Stromgesetz ist die konsequente Fortsetzung dieses Weges.
Haben Sie also keinen Plan B?
Politik ist nie alternativlos. Aber bis eine neue Vorlage stünde, wäre die Schweiz im Winter sicher weiter stark auf Importe angewiesen.
Wir kämen also nicht aus dem Risiko einer Mangellage heraus. Planen Sie einen Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative, die das AKW-Neubauverbot aufhebenwill?
Es ist noch nichts entschieden. Der Bundesrat wird sich aber nach dem 9. Juni ziemlich schnell mit dieser Frage beschäftigen.
Eine Option wäre, sich an den Kosten für den Bau neuer AKW im Ausland zu beteiligen. Das französische Aussenministerium hat diesen Wunsch jüngst geäussert.
Es gibt keine offizielle Anfrage aus Paris. Jedes Land muss seinen Beitrag an die Energieversorgung in Europa leisten, die Schweiz kann das mit ihren Speicherkraftwerken sehr gut. Doch jedes Land muss auch die Versorgung seiner eigenen Bevölkerung sicherstellen. Darum investieren wir unser Geld besser in die eigene Stromproduktion.
Brauchen wir überhaupt mehr Strom? Der Verbrauch ist seit 2010 leicht gesunken.
Die Geräte werden immer effizienter, zudem gibt es noch nicht sehr viele Elektroautos, und noch immer heizen rund zwei Drittel der Haushalte mit Öl und Gas. Der Trend wird aber umkehren, wenn wir konsequent dekarbonisieren. Künftig werden wir mindestens eineinhalbmal so viel Strom brauchen wie heute.
Im Abstimmungskampf stellt sich Ihre eigene Partei gegen Sie. Schon wieder. Warum ist es Ihnen nicht gelungen, die SVP vom Stromgesetz zu überzeugen?
Die SVP hat - damals noch unter meiner Leitung - das Referendum gegen die Energiestrategie ergriffen, gegen den Ausstieg aus der Kernenergie. Ein Teil der SVP ist nun der Ansicht, das Stromgesetz sei die Fortsetzung einer unsicheren Stromproduktion. Ich kann das nachvollziehen. Für diesen Teil stehen politische Argumente im Vordergrund. Meine Verantwortung ist es, die Stromversorgungssicherheit zu verbessern. Und alle SVP-Mitglieder, die bei der Beratung in der Energiekommission sassen, stehen hinter der Vorlage.
Sie haben sich im Parlament gegen eine umfassende Solarpflicht auf Neubauten eingesetzt, damit die SVP das Gesetz nicht bekämpft. Nun bekämpft sie es trotzdem. Hat die SVP eine Abmachung gebrochen?
Ich bekämpfte die umfassende Solarpflicht auch aus eigener Überzeugung. Zudem dachte ich an den Hauseigentümerverband, der mit einer solchen Pflicht das Referendum unterstützt hätte. Ich bin überzeugt, dass ein Obligatorium nicht nötig ist, damit PV-Anlagen auf Gebäuden installiert werden.
Sie stehen im Abstimmungskampf SVP-Schwergewichten wie Magdalena Martullo-Blocher gegenüber. Geht es auch um die Frage, wer in der SVP den Ton angibt?
Für mich sicher nicht. Ich versuche lieber, im Bundesrat den Ton anzugeben, (lacht) Sagen wir: in meinem Departement.
Lassen Sie uns über die Argumente der Gegner sprechen. Ihre Partei sagt, das Gesetz werde den Strom verteuern. Mit welchen Kosten müssen die Konsumentinnen und Konsumenten rechnen?
Das Gesetz verteuert den Strom nicht. Im Gegenteil, es glättet die Stromtarife, wenn es gelingt, den Passus umzusetzen, wonach Stromunternehmen den Strom strukturiert einkaufen müssen. Die Abgabe für die Förderung der erneuerbaren Energien bleibt bei 2,3 Rappen pro Kilowattstunde.
Aber diese Abgabe wird weiterhin erhoben. Und es gibt auch Folgekosten: Die Stromnetze müssen ausgebaut werden. Das Netz müssen wir ohnehin ausbauen, unabhängig von diesem Gesetz. Glaubt man der SVP, wären 9000 Windräder nötig. Mit wie vielen rechnen Sie?
Mit etwa 20 bis 30 Windparks bis 2035, also rund 200 Anlagen.
Die Gegnerinnen und Gegner sagen, die Mitsprache der Bevölkerung werde eingeschränkt.
Das ist ein wichtiger Punkt: Die Verfahren bleiben grundsätzlich unverändert. Die Beschwerdeund Mitsprachemöglichkeiten bestehen also weiterhin. Nur bei den 16 Wasserkraftprojekten können die Gemeinden nicht mehr über die Nutzungsplanung bestimmen. Aber es gibt ein Konzessions- und Bewilligungsverfahren. Dort kann die Bevölkerung demokratisch mitbestimmen und Einsprache erheben. Bei den Windpärken bleibt es wie bisher: Lehnt eine Gemeinde einen Windpark ab, gibt es keinen.
Das Volk hat auch in Sachen Wolf entschieden und präventive Abschüsse abgelehnt. Nun werden trotzdem Wolfsrudel abgeschossen. Ist Ihnen der Volkswille beim Wolf nicht so wichtig?
Doch, natürlich. Aber zwischen der Volksabstimmung und meiner Verordnung gab es nochmals eine Gesetzesrevision - mit Wolfsregulierung. Dagegen gab es kein Referendum.
Jetzt droht aber eine Rüge. Das Büro der Berner Konvention - dem Artenschutzabkommen des Europarates - ist auf eine Klage gegen die Schweiz eingetreten. Bis im Herbst müssen Sie Ihr Vorgehen begründen. Hat die Schweiz das Abkommen verletzt?
Nein. Wir messen dem Artenschutz einen hohen Stellenwert bei. Es werden nur problematische Rudel entfernt, und eine Mindestzahl von zwölf Rudeln wird erhalten. Wir haben aber nie gesagt, es müssten 70 Prozent der Rudel entfernt werden. Das wird immer falsch geschrieben.
Nun wollen Sie auch dem Biber an den Kragen - gegen den Willen des Parlaments. Sie berufen sich auf die Kompetenz des Bundesrats, die Liste der jagdbaren Arten zu erweitern. Ist das beim Biber tatsächlich nötig?
Der Biber ist eine andere Dimension als der Wolf. Aber auch der Biber richtet Schaden an, der ein Eingreifen rechtfertigen kann. Warten wir nun einmal das Ende der Vernehmlassung ab. Entschieden ist noch nichts.
Getötet werden dürften Biber nach Ihrem Vorschlag, wenn sie das tun, was Biber von Natur aus tun: Dämme bauen und die Landschaft umgestalten. Wir sind offensichtlich nicht bereit, unseren Lebensraum mit Tieren wie Wolf und Biber zu teilen.
Doch, und ich will auch keinem Tier «an den Kragen». Das Ziel ist eine Regulierung. Am Ende geht es immer um eine Interessenabwägung - und um Kompromisse. Wir brauchen Artenvielfalt, aber wenn eine Art viel Schaden anrichtet, verliert sie die Akzeptanz.