Der folgenschwere Zwischenfall im Gotthard-Basistunnel habe ihn alarmiert, sagt Bundesrat Albert Rösti im Interview mit dem Tages-Anzeiger. Weiter äussert er sich auch zu den Ausbauprojekten von Bahn und Strasse.
Tages-Anzeiger, 29.08.2023
Interview: Gregor Poletti, Franziska Frey
Der Unfall im Gotthard-Basistunnel hat einen riesigen Schaden verursacht und eine der Tunnelröhren für Monate stillgelegt. Nur dank der massiven Trennwand bei der Schaltstelle Faido konnte ein Fiasko verhindert werden. Wie alarmiert sind Sie?
Es ist der erste grössere Unfall im Gotthard-Basistunnel. Zum Glück hat es keine Verletzten gegeben. Es ist wichtig, zu wissen, dass Personenzüge noch strengere Auflagen erfüllen müssen und erweiterten Kontrollen unterliegen. Wie bei jedem Unfall muss man den Hergang sorgfältig analysieren und danach die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wirklich Aufschluss werden erst die Untersuchungen der unabhängigen Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes Sust geben. Ich bin insofern alarmiert, als dass so ein Unfall nicht hätte passieren dürfen. Deshalb ist es für uns unerlässlich, zu wissen, ob und wie er hätte vermieden werden können.
Dazu gehört auch die Rolle des Bundesamtes für Verkehr (BAV), das ja für die Auflagen zuständig ist?
Man muss zuerst den Bericht der Sust abwarten. Das BAV hat schon früher auf kritische Situationen bezüglich der Sicherheitsanforderungen gewisser Züge hingewiesen, die verantwortlichen Bahnunternehmen in die Pflicht genommen, die Zusammenarbeit mit den ausländischen Aufsichtsbehörden verstärkt und die Stichprobenanzahl der Kontrollen erhöht. Das Amt hat seine Aufgaben wahrgenommen. Erst der Bericht der Sust wird zeigen, welche Partner und allfälligen Amtsstellen von möglichen Konsequenzen betroffen sein werden.
Derweil schreitet der Bahnausbau weiter voran. Was auffällt: Sowohl beim Autobahnausbau wie auch beim Bahnausbau sind neu Projekte aus der Romandie in die Ausbaupläne eingeflossen. Haben die Romands besonders gut lobbyiert?
Als neuer Verkehrsminister habe ich erst mal nachgefragt, wo es noch Handlungsbedarf gibt. Dabei hat sich herausgestellt, dass mit Blick auf das Streckennetz ein Handeln bei den Verbindungen zwischen Lausanne und Genf sinnvoll ist. Beim Autobahnausbau dürfte es noch eine Volksabstimmung geben. Bahnseitig haben wir festgestellt, dass es äusserst schwierig gewesen wäre, ein drittes Gleis durch besiedeltes Gebiet zu ziehen. Deshalb gaben wir dem Tunnel zwischen Morges und Perroy auf der Strecke Lausanne–Genf den Vorzug. Die Situation in Lausanne mit der Verzögerung beim neuen Bahnhof hat für uns ebenfalls höchste Priorität.
Hat die Aufnahme dieser beiden Projekte in der Romandie auch etwas damit zu tun, dass Sie als SVP-Bundesrat diese Region besonders begünstigen, um dort zusätzliche Wählerstimmen für Ihre Partei abzuholen, schliesslich ist Wahljahr?
Mein Auftrag ist, für die Bahn- und Strasseninfrastruktur das Richtige zu tun. Das hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Entweder sind solche Milliardenprojekte notwendig und bereit für die Realisierung oder nicht.
Thomas Küchler, Chef der Südostbahnen, kritisiert die gesamte Vorgehensweise beim geplanten Ausbau der Bahn. Man frage zuerst die Kantone nach ihren Wünschen, statt zuerst eine schweizweite Angebotsanalyse wie bei der Bahn 2000 zu machen und danach die entsprechenden Infrastrukturen festzulegen. Flickwerk anstatt eine solide Gesamtstruktur?
Da muss ich klar und deutlich widersprechen. Wo es Engpässe gibt, machen wir aus einer nationalen Optik Kapazitätserweiterungen, diese werden auf Basis der Verkehrsprognosen des Bundesamts für Raumentwicklung entwickelt. Laut den Prognosen wird der Güterverkehr bis 2050 um über 30 Prozent zunehmen und der Personenverkehr auf der Schiene um mindestens 11 Prozent. Das sind Langfristperspektiven, und nach denen richten wir uns. Zudem müssen wir das Bevölkerungswachstum und die steigenden Mobilitätsbedürfnisse berücksichtigen und das insbesondere in den grossen Agglomerationen.
Das Verkehrswachstum im Personen- und Güterverkehr fand hauptsächlich auf der Strasse statt. Wollen Sie den Modalsplit, also den Verkehrsanteil von Strasse und Schiene, überhaupt ändern?
Ich bin der Meinung, dass sich Strasse und Schiene ergänzen sollten. Die derzeitige Planung sieht vor, dass der Modalsplit um drei Prozent Richtung öffentlicher Verkehr steigen sollte. Das tönt zwar nach wenig. Ohne diese Verschiebung wäre der Verkehr auf der Strasse aber gar nicht zu bewältigen. Und gerade deshalb braucht es jetzt die geplanten Ausbauten im Schienenbereich.
Die Deutsche Bahn ist in vielen Fällen eine Knacknuss für die Schweiz und kommt seit Jahren ihren Verpflichtungen nicht nach wie zum Beispiel bei der Elektrifizierung der Strecke Lindau–München. Hinzu kommen die dauernden Verspätungen. Weshalb lässt sich die Schweiz von Deutschland derart auf der Nase rumtanzen?
Ich will nicht ein anderes Land kritisieren. Ich hatte kürzlich Kontakt mit dem deutschen Verkehrsminister, Volker Wissing, und habe ihn auf diese Probleme hingewiesen. Es wurden offensichtlich nicht genug Investitionen in diesem Bereich getätigt. Ich bin überzeugt, dass er die richtigen Schritte eingeleitet hat, wie zum Beispiel gewisse Strecken über einige Monate stillzulegen, um die Ausbauten schneller voranzutreiben. Übrigens haben wir auch mit dem italienischen Verkehrsminister Matteo Salvini eine Absichtserklärung unterzeichnet, die stärkere Investitionen der Italiener in den Schienenausbau beinhaltet. Es geht also darum, gemeinsam Lösungen zu finden, nicht einfach andere Länder zu kritisieren.
Oftmals fahren die ICE von Deutschland anstatt wie vorgesehen nicht mehr bis nach Zürich, sondern nur noch nach Basel, wo die Leute dann umsteigen müssen.
Tatsächlich treffen diese Züge in Basel oft mit Verspätung ein. Die daraus resultierenden Verspätungen können wir uns auf unserem Netz nicht leisten. Deshalb kommt es für die Reisenden zu dieser unbefriedigenden Situation mit Umsteigen und Wartezeiten.
Wie oft benutzen Sie eigentlich noch die Bahn?
Auch als Bundesrat brauche ich das Verkehrsmittel, das mich am effizientesten an mein Ziel bringt. Als ich kürzlich nach Lausanne musste, habe ich den Zug genommen. Das Gleiche mache ich, wenn ich Termine in Zürich habe.
Letzte Änderung 29.08.2023