Interview mit Bundesrat Albert Rösti

Im Interview mit dem Tages-Anzeiger spricht Bundesrat Albert Rösti über die kommenden Abstimmungsvorlagen, bei denen er zum Teil gegen die eigene Partei ankämpfen muss, auch über den Wolf und zudem erklärt er, dass er Einsprachemöglichkeiten grundsätzlich richtig findet.

Tages Anzeiger, 25.01.2024

Interview von Raphaela Birrer und Stefan Häne


Sie sind nun seit einem Jahr im Amt. Was hat Sie bisher am meisten genervt?

Das fängt ja schwierig an. (überlegt lange)

Sind Sie etwa umzingelt von Freunden?

Nein, das schon nicht. Also, am meisten genervt hat mich die Einsprache, die Aqua Viva und der Grimselverein unlängst beim Berner Verwaltungsgericht gegen den geplanten Trift-Stausee eingereicht haben. Und das, obschon es einen breiten Konsens bei diesem Projekt gibt; sogar die grossen Umweltverbände unterstützen es.

Die Umweltschützer sehen eine unberührte Berglandschaft in Gefahr, der Stausee würde ein Gletschervorfeld überfluten.

Das Gletschervorfeld ist erst gerade entstanden. Die Staumauer wird nicht sehr gross, der Eingriff in die Landschaft ist klein.

Wünschen Sie sich in solchen Momenten, dass die Einsprachemöglichkeiten solcher Verbände beschnitten würden?

Nein, wenn ich mich ärgere, kehrt die Vernunft jeweils schnell zurück. Unser System mit Gewaltenteilung und Einsprachemöglichkeiten ist grundsätzlich richtig. Aber ich appelliere an die Vernunft der Leute, das System nicht auszunutzen. Die Bevölkerung will gemäss vergangenen Volksabstimmungen aus der Kernkraft und der fossilen Energie aussteigen. Damit bleibt nur noch der Ausbau der erneuerbaren Energien, also Wasser, Wind und Sonne.

Sie kämpfen auch an anderen Fronten: Stromversorgung sichern, Autobahnen ausbauen, Biodiversität schützen – Sie haben ein Super-Abstimmungsjahr vor sich. Vor welcher Abstimmung fürchten Sie sich am meisten?

Am meisten Respekt habe ich vor der Abstimmung über die Vorlage für die sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien. Hier besteht die Gefahr, dass sich der Widerstand kumuliert: Manchen Menschen passt das geplante Windrad nicht, anderen das neue Wasserkraftwerk. Doch am Ende geht es darum, die Schweiz mit genügend Strom zu versorgen. Es steht einiges auf dem Spiel, insbesondere für ein gutes Funktionieren der Wirtschaft.

Droht eine Strommangellage, sollte das Stimmvolk Nein sagen?

Ich möchte weder Polemik machen noch die Bevölkerung in Panik versetzen. Wir haben heute schon fossile Reservekraftwerke für den Fall, dass wir in eine Mangellage geraten. Aber die Gefahr einer Mangellage würde sicher grösser, die Versorgungsrisiken würden wachsen – nicht sofort, aber im Lauf der kommenden Jahre. Denn die Nachfrage nach Strom wird im Zuge der Dekarbonisierung steigen. Es wird immer mehr Elektroautos und Wärmepumpen geben, auch die Industrie wird sich je länger, je mehr elektrifizieren.

Überzeugen müssen Sie auch Ihre eigene Partei, die SVP. Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher etwa nennt die Vorlage einen «Bschiss».

Fakt ist: Zwei Drittel der SVP-Fraktion im Parlament haben der Vorlage zugestimmt. Auf dieser Basis gilt es jetzt, die Delegierten zu überzeugen.

Frau Martullo-Blocher sagt, die Vorlage bringe effektiv nur wenig Strom, aber sehr hohe Kosten, welche die Stromkonsumenten zahlen müssten.

Es bringt nichts, jetzt schon zu weit in die Zukunft zu blicken und die möglichen Kosten aufzusummieren. Mit der Vorlage wollen wir das Risiko einer Mangellage deutlich senken. Dafür braucht es nur etwa drei Terawattstunden Winterstrom mehr. Das heisst: Es braucht nun jene 16 Wasserkraftprojekte, die dank der Vorlage Vorrang gegenüber Natur- und Heimatschutzinteressen haben. Auch bestimmte Solar- und Windprojekte werden von diesem Vorrang profitieren.

Landschaftsschützer sehen dadurch die Natur und die Landschaft bedroht.

Auch ich habe kein Interesse daran, dass die ganze Landschaft mit Windturbinen oder Solaranlagen überzogen wird. Doch genau das garantiert die Vorlage: Sie definiert bestimmte Projekte und damit Gebiete, wo der Ausbau stattfinden kann – und wo nicht. Wir schützen und nutzen also zugleich.

Dabei könnte doch ein Volks-Nein zur Vorlage in Ihrem Sinn sein: Verlangsamt sich die Energiewende, steigt der politische Druck, neue Kernkraftwerke zu bauen.

Ihre These blendet die Zeitachse aus. Bis ein allfälliges neues Kernkraftwerk gebaut wird, braucht es wohl 15 bis 20 Jahre. Wir aber brauchen schon in den nächsten Jahren mehr Strom, und dieses Ziel erreichen wir nun mit der Vorlage für eine sichere Stromversorgung.

Aber grundsätzlich sind Sie ja ein Fürsprecher neuer Kernkraftwerke. Braucht es analog zum Solarexpress auch einen AKW-Express?

Für die Gewinnung von zusätzlichem Strom braucht es kurzfristig ein Ja an der Urne für diese Vorlage. Ich möchte jetzt nicht für eine Technologie plädieren, die langfristig, also erst in 20 oder 30 Jahren, eine Option werden könnte. Es bleibt dann genügend Zeit für die neue Technologie für spätere Jahre.

Gerade weil es so lange dauert, müsste man doch heute die Weichen stellen und das Neubauverbot aufheben.

Es wäre falsch, wenn aufgrund einer Kernkraft-Diskussion der Eindruck entstünde, dass es den Ausbau der Erneuerbaren jetzt nicht braucht.

Sie könnten ja für beides plädieren. Demnächst wird eine Volksinitiative eingereicht, die das Neubauverbot für AKW aufheben will. Wir hören, dass Sie sich auf diese Debatte freuen – weil die Initiative den Bundesrat zwingt, Farbe zu bekennen.

(lacht)

So wie Sie reagieren, gehen wir davon aus, dass Sie schon an einem Gegenvorschlag arbeiten.

Wenn ich eine Strategie im Bundesrat durchbringen will, wäre es das Dümmste, wenn ich diese vorher ausplaudern würde. Natürlich mache ich mir Gedanken zur Initiative, sonst würde ich meine Arbeit nicht richtig machen.

Wichtig ist auch die Volksabstimmung über den Autobahnausbau. Auch hier kämpfen Sie teils gegen Ihre eigenen Leute: Viele Bauern sind dagegen, weil Kulturland verloren geht. Wie überzeugen Sie sie?

Wir werden den Bauern die verlorenen Fruchtfolgeflächen soweit möglich ersetzen, etwa durch Urbarmachung von Flächen, die bis jetzt nicht landwirtschaftlich genutzt wurden. Dazu sind wir gesetzlich verpflichtet. Unter dem Strich geht so kaum Kulturland verloren.

Aber den einzelnen Bauern kann es hart treffen.

Mir ist sehr bewusst, welches Schicksal es ist, wenn man direkt betroffen ist. Und ja, dieser Ersatz wird nicht bei jedem Bauern eins zu eins funktionieren. Doch auch hier werden wir nach Lösungen suchen und wo immer möglich Landersatz anbieten.

Und wie wollen Sie den Rest der Landwirte überzeugen?

Die Bauern sind, wie wir alle, auf eine florierende Wirtschaft angewiesen. Dafür braucht es die Strassen. Floriert die Wirtschaft, generiert das Steuereinnahmen, die wir wiederum für die Direktzahlungen an die Bauern brauchen. Wir verbrauchen zudem für den Ausbau so wenig Land wie möglich. Drei der sechs Autobahnprojekte sind Tunnel.

Beim Autobahnausbau stehen sich die Landbevölkerung und die Städter gegenüber. Was tun Sie, um diesen Graben zuzuschütten?

Der Ausbau der Autobahnen ist ja nur eine der Massnahmen in unserem Gesamtmobilitätskonzept. Gleichzeitig bauen wir die Bahn aus. Zu erwähnen ist auch das Agglomerationsprojekt: Da geben wir eineinhalb Milliarden Franken für Velowege, Fussgängerstreifen oder Anschlusslösungen zwischen Auto und Zug aus. Zudem investieren wir auch in den Unterhalt und die Kapazitätserweiterung des ÖV – und zwar deutlich mehr als in die Strasse. Das zeigt: Beide Seiten, Stadt und Land, profitieren.

Trotzdem stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es klimapolitisch opportun ist, neue Strassen zu bauen.

Im Moment ist es nicht möglich, den ÖV noch stärker auszubauen. Wir haben in vielen Bahnhöfen grössere Bauprojekte und praktisch auf allen Strecken ein grosses Ausbauprojekt – 300 Baustellen insgesamt. Und das klimapolitische Argument hat sich mit der Elektromobilität entkräftet. Für diesen ökologischen Verkehr der Zukunft bauen wir heute die Strassen.

Sie sprechen von einem fernen Zukunftsszenario. Faktisch wird jetzt mehr Kapazität für Benzin- und Dieselautos geschaffen.

Aber diese Autos fahren ja bereits heute auf den Strassen. Sie stehen einfach 30’000 Stunden pro Jahr im Stau. Das ist ein wirtschaftlicher Verlust von jährlich drei Milliarden Franken. Ökologisch ist es zudem besser, wenn der Verkehr fliesst.

Müssten Sie nicht eher das Mobility-Pricing vorantreiben? Das könnte die Verkehrsspitzen glätten und somit den Stau reduzieren.

Denken Sie nur an die sozialpolitischen Folgen, die eine solche Bepreisung der Strassennutzung hätte! Wer vom Land zur Arbeit in die Stadt fahren müsste, weil er sich keine teure Stadtwohnung leisten kann, müsste mit dem Mobility-Pricing massiv mehr bezahlen. Das ist nicht fair.

Die Gegner sagen, wenn man Strassen ausbaut, wird man mehr Verkehr ernten.

Das stimmt eben nicht! Wir bauen ja nicht irgendwo eine neue Strasse, auf der man schneller von A nach B kommt. Das würde tatsächlich mehr Verkehr verursachen. Stattdessen bauen wir dort die Strassen aus, wo der Verkehr heute steht. Die neue dritte Röhre im Gubrist zeigt, dass das funktioniert. Dort gibt es heute keinen Stau mehr, aber auch nicht mehr Verkehr.

Sie ist aber auch noch kein Jahr offen. Tatsache ist: Verkürzt sich die Fahrzeit, wird es wieder attraktiver, das Auto statt den Zug zu nehmen.

Darum geht es nicht, aber das Umgekehrte ist eben auch nicht möglich, da die Züge oft überfüllt sind und die Bahn die fehlende Kapazität nicht aufnehmen kann.

Ihre Gegner werden sich bestätigt fühlen: Sie machen das Autofahren wieder attraktiver – Klimaschutz ist Ihnen letztlich nicht so wichtig.

Ich habe seit meinem Amtsantritt vehement für die Förderung der erneuerbaren Energien gekämpft. Diesen Einsatz haben meine Gegner sicher nicht erwartet. Den Klimaschutz stärken wir vor allem dann, wenn mehr Strom produziert wird.

Eine andere Kritik zielt auf Ihren Beschluss, den Wolfsbestand von 31 auf 12 Rudel zu reduzieren. Ihre Fachleute hatten Ihnen empfohlen, zwecks Artenschutz 20 Rudel zu erhalten.

Ich habe versucht, alle Interessen zu berücksichtigen. Die 12 Rudel entsprechen dem Bestand von 2019, die Zahl ist also gar nicht so tief. Hinzu kommt: Experten sagen, dass die Wölfe schnell lernen, sie sich also schnell in ihre Gebiete zurückziehen, sobald sie merken, dass sie in der Nähe von Herden oder Siedlungen abgeschossen werden. Faktisch wird die Zahl der Rudel also nie so stark dezimiert werden.

Und warum hatten Sie es plötzlich so eilig mit dem Abschuss? Zuerst hatten Sie erwogen, bis Herbst 2024 zu warten. Die Risszahlen sind ja zuletzt sogar gesunken, obwohl wir mehr Wölfe haben.

Ich konnte im Juni 2023 nicht annehmen, dass die Risszahlen sinken. 2022 waren sie auf über 1500 gestiegen. Und die Zahl der Rudel ist exponentiell gewachsen. Der politische Druck war im letzten Sommer gross. Die Bergbauern, denen Schafe gerissen wurden, wollten, dass jetzt etwas passiert. Jagen kann man nur zwischen September und Januar. Wir hätten also viel Zeit verloren, wenn wir den Abschuss nicht schnell bewilligt hätten. Ich wollte rasch reagieren, weil ich nie in die Situation kommen möchte, dass einem Menschen etwas passiert. Da würde man mir zu Recht vorwerfen, ich hätte nicht gehandelt.

Dafür hat Ihr Vorpreschen ein Chaos angerichtet. Mittlerweile ist Ihr Abschussentscheid ein Fall für die Gerichte.

Das ist kein Chaos, sondern ein normaler Prozess. Wir haben eine Gewaltenteilung, die gut funktioniert. Beim Wolfabschuss hat es entschieden, dass es bei einzelnen Rudeln einen vorübergehenden Jagdstopp geben soll. Das gilt es zu akzeptieren. Bislang wurden 32 Wölfe geschossen.

Kritisiert wird auch die Art, wie das zustande kam. Sie haben ein abgekürztes Verfahren ohne ordentliche Vernehmlassung gewählt.

Es hat pressiert. In der Politik muss man manchmal einfach rasch handeln. Aber mir ist schon klar: Es geht hier um Tiere – und das ist emotional. Diese Debatte steht in keinem Verhältnis zur Relevanz meines Entscheids. Andere Dossiers sind viel wichtiger.

Würden Sie sich im Licht der neuen Zahlen – weniger Risse bei höherer Wolfszahl – heute wieder so entscheiden?

Ja, ich würde es immer noch gleich machen. Die Zahlen sind zwar leicht gesunken, aber für die Berglandwirtschaft ist es kein Zustand, wenn sie trotz zum Teil massiver Schutzmassnahmen Opfer zu beklagen haben. Es ist für mich nicht akzeptabel, wenn ganze Herden angegriffen und auf grausame Art zerfetzt werden. Es ist mein Auftrag, die Bevölkerung zu schützen. Wer so verklärt ist, dass er es nicht versteht, muss das nun einfach ertragen. Ich bin überzeugt, dass es der Akzeptanz des Wolfs langfristig hilft, wenn die Bergbevölkerung geschützt wird.

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