Bundesrat Albert Rösti, die Bundesverwaltung hat diese Woche von der Umweltkommission des Nationalrats den Auftrag erhalten, Verteidigungsabschüsse gegen Wölfe zu prüfen. Wie stehen Sie zum «tir de défense»?
Den Auftrag zur Prüfung haben wir in dieser Woche erhalten. Das Anliegen kam im Rahmen der Vernehmlassung zur neuen Jagdverordnung auf den Tisch. Ich kann hier nicht vorgreifen. Der Gesamtbundesrat wird dazu Stellung beziehen. Die Verordnung soll voraussichtlich Ende Jahr verabschiedet werden.
In Frankreich gibt es bereits solche Verteidigungsabschüsse.
Es ist nachvollziehbar, dass Hirten, die einen Wolfsangriff erleben, reagieren möchten. In welcher Form das sein kann, das möchte ich nach heutigem Stand nicht beantworten. Wir werden dies aber natürlich gründlich prüfen.
Walliser Nutztierhalter verloren in diesem Jahr bislang mehr als 180 Tiere an Wölfe. Haben die angeordneten Abschüsse vom letzten Herbst überhaupt etwas gebracht?
Letztlich ist es relativ einfach: Ein abgeschossener Wolf reisst kein Schaf mehr. Das mag relativ simpel klingen. Ein kleiner sichtbarer Nutzen ist also bereits ersichtlich. Allerdings ist es für ein abschliessendes Fazit zu früh. Das lässt sich erst nach ein paar Jahren ziehen. Nämlich dann, wenn man sieht, dass sich die Zahl der Wölfe stabilisiert respektive verringert hat. Gleiches gilt auch für die Schäden. Deshalb wäre es nun verfrüht, Bilanz zu ziehen.
Auch nicht eine Zwischenbilanz?
Im letzten Jahr wurden insgesamt 77 Wölfe geschossen, davon aber nur 38 aus Rudeln entfernt. In der vergangenen Saison wurden 38 Wölfe aus Rudeln entfernt. Die Verordnung erlaubt auch eine Entnahme in diesem Winter.
Wird es diesen Herbst weitere präventive Abschüsse geben?
Die Verordnung gilt auch für diese Saison. Vom September bis Ende Januar 2025 können wiederum ganze Rudel oder bis zwei Drittel der Jungwölfe geschossen werden. Wichtig ist, dass die Kantone – falls solche Massnahmen nötig werden – die Gesuche rechtzeitig an das Bundesamt für Umwelt stellen. So kann dort, wo Schaden droht, gehandelt werden. Ich denke, dass es gerade im Kanton Wallis enorm wichtig ist, dass die Zahl der Nutztierrisse weiter reduziert werden kann. Man muss verhindern, dass Alpen nicht mehr bestossen werden. Denn im Sinne der Biodiversität wäre dies das Schlimmste, was passieren könnte.
Sie spannen den Bogen zur bevorstehenden Biodiversitätsinitiative. Bei einem Ja am 22. September müssten Bund und Kantone dafür sorgen, dass mehr Flächen für die Erhaltung von Biodiversität zur Verfügung stehen. Gegner sagen, dies hätte einschneidende Konsequenzen für die Landwirtschaft. Dies, weil bis zu 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche praktisch nicht mehr genutzt werden könnten. Betroffen sind vor allem Ackerbaubetriebe. Welche Auswirkungen hätte ein Ja auf die Berglandwirtschaft?
Bei einer Annahme der Initiative müssten die Betriebe mehr Flächen extensivieren. Das hiesse im Klartext, dass weniger Produkte erzeugt werden könnten. Die Landwirtschaft ist auf eine grosse Biodiversität angewiesen, nehmen wir etwa die Pflanzenbestäubung durch Insekten als Beispiel. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Initiative zu weit geht.
Warum?
Gerade die Berglandwirtschaft hat deutlich mehr Flächen für den Erhalt der Biodiversität ausgeschieden, als dies im Landwirtschaftsgesetz vorgesehen ist. Gesamtschweizerisch liegt dieser Schnitt bei 19 Prozent der Flächen. Es sind die Bergbetriebe, die ihn auf dieses Niveau heben. Letztendlich würden höhere Quoten zu einer Erhöhung des Imports von landwirtschaftlichen Produkten aus dem Ausland führen. Und weil diese meist zu tieferen Produktionsstandards erzeugt werden, hätte dies letztendlich global gesehen einen negativen Effekt auf die Biodiversität. Dazu kommt noch ein weiterer Punkt.
Welcher?
Es geht beim Initiativtext auch darum, bestehende Flächen stärker zu schützen. Das würde bedeuten, dass Investitionen in die Infrastruktur erschwert werden. Schon heute sind die Herausforderungen gross. Etwa beim Erhalt von Bewirtschaftungsstrassen zu Alpen, dem Bau neuer Wasserfassungen oder der Elektrifizierung. Darauf ist die Landwirtschaft im Zuge der geforderten Rationalisierung angewiesen.
Ein grosser Teil der Landwirtschaftsbetriebe im Oberwallis werden im Nebenerwerb geführt. Was braucht es, damit sie überleben?
Zum Glück gibt es im Oberwallis Möglichkeiten, die das Führen eines Betriebes im Nebenerwerb ermöglichen. Etwa in Kombination mit Berufen im Tourismus oder in der Industrie. Von dieser Kombination profitieren am Ende auch die Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels. Was der Sache nicht dienlich ist, sind zusätzliche Restriktionen für die Landwirtschaft. Das führt nur zu noch mehr Druck. Alleine die Wolfsfrage ist für viele Nebenerwerbsbetriebe eine Existenzfrage. Letztlich sind es aber auch Direktzahlungen wie Beiträge für die Bewirtschaftung von Steillagen. Sie müssen auch dann weiterhin ausgerichtet werden, wenn es darum geht, bei der Landwirtschaft Einsparungen zu machen.
Sprechen wir über die letzte nationale Abstimmung. Wie geht es nach dem Ja zum Stromgesetz weiter mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien?
Die Grundlage ist nun geschaffen, es ist ein Lichtblick. Gleichzeitig mache ich mir aber Sorgen.
Weshalb?
Bei wichtigen Projekten liegt entweder bereits eine Beschwerde auf dem Tisch oder es droht eine einzugehen. Für die Stromversorgung der Schweiz ist es enorm wichtig, dass die Projekte rasch realisiert werden können. Dabei geht es vor allem um die 16 Wasserkraftprojekte. Wichtig ist aber auch, dass ein paar alpine Solaranlagen realisiert werden können. Letztlich braucht es vor allem Winterstrom. Wir haben schon heute im Sommer eigentlich einen Überschuss an Strom durch die Solaranlagen. Was wir aber brauchen, ist eine gesicherte Stromversorgung im Winter. Dies, damit wir dem zusätzlichen Bedürfnis durch die Elektrifizierung Rechnung tragen können.
Sie sprechen es an: Viele Projekte werden durch Einsprachen blockiert.
Wir werden alles daransetzen, um bei den Verfahren zu helfen und zu deblockieren. Dazu gehört auch, mit Kritikern an den Tisch zu sitzen und einen gangbaren Weg zu finden. Denn ich betone nochmals: Die 16 Wasserkraftprojekte im Rahmen des Stromgesetzes müssen unbedingt und rasch umgesetzt werden.Ein Teil der neuen Staumauer Spitallamm, die derzeit an der Grimsel im Berner Oberland gebaut wird, hat ihre endgültige Höhe erreicht.
Wie rasch?
Wir müssen realistisch bleiben. Vom Bewilligungsverfahren bis zum Bau wird es sicherlich die nächsten zehn Jahre in Anspruch nehmen. Ich habe immer gesagt: Wenn wir in den nächsten zehn Jahren sechs Terawattstunden – also zehn Prozent der Strommenge – mehr installiert haben, dann haben wir eine gute Arbeit geleistet.
Hat Ihre Vorgängerin Simonetta Sommaruga (SP) eine zu hohe Erwartungshaltung geschürt?
Die Erwartungshaltung kann fast nicht hoch genug sein, weil wir dringend auf den Strom angewiesen sind. Allerdings stellt man fest: Es gibt ein Beschwerderecht und es gibt Interessengruppen, die ihre Meinung einbringen und Verfahren verzögern können. Was sicherlich unterschätzt wurde, ist, dass selbst wenn die grossen Umweltverbände wie Pro Natura oder WWF hinter einem Beschluss stehen, regionale oder kleinere Organisationen wie beispielsweise Aqua Viva bei der Trift an ihren Einsprachen festhalten.
Was gibt es für Mittel, um dem entgegenzuwirken?
Das Parlament diskutiert über einen Beschleunigungserlass. Dieser könnte die Fristen beschleunigen und die Verfahren verschlanken. So, dass man nicht zweimal die Beschwerde bis vor das Bundesgericht ziehen kann. Technisch ginge das, wenn man die Nutzungsplanung und die Bewilligungsverfahren zusammenlegt.
Soll das Beschwerderecht der Umweltverbände eingeschränkt werden?
Ich denke eher an verschlankte Verfahren als an Eingriffe in die demokratischen Rechte.
Nicht wenige der vorgeschlagenen Wasserkraftprojekte dienen auch dem Hochwasserschutz. Experten sagen etwa, das Gornerli hätte Zermatt vor dem Schlimmsten bewahrt. Wird der Bevölkerungsschutz hier zu wenig hoch gewichtet?
Mit rund 0,7 Terawattstunden ist das Gornerli das wichtigste Projekt von allen 16 Wasserkraftprojekten. Für den Winterstrom in der Schweiz ist es ein zentrales Element. Nun hat es sich in diesem Sommer auch als dringend erwiesen für den Hochwasserschutz. Letztlich appelliere ich aber auch an die Vernunft der Umweltverbände. Das Ziel der gesicherten Stromversorgung und der Dekarbonisierung muss hier ganz klar in den Vordergrund gestellt werden.Die kühnen alpinen Solarträume sind geschrumpft. Nicht nur wegen Einsprachen, auch wegen technischer Probleme.
Es sind aber nicht nur Umweltverbände, die Projekte verzögern. Im Wallis sind mehrere alpine Solarparks geplant und der Widerstand ist gross – auch bei den Bauern und der SVP. Wie wichtig sind hochalpine Solaranlagen für die Energieversorgung der Schweiz?
Sie sind ein Puzzleteil, also eine Massnahme von vielen für eine sichere Stromversorgung unseres Landes. Knapp ein Drittel des Ausbaus muss von alpinen Solaranlagen kommen, also rund zwei Terawattstunden. Heute müssen wir feststellen, dass wir bis 2025 diese zwei Terawattstunden nicht erreichen. Wegen technischer Schwierigkeiten, aber auch wegen Einsprachen. Das heisst aber nicht, dass wir nicht daran festhalten. Es gibt durchaus einige Anlagen, die auf gutem Weg sind.
Trotzdem: Der Solar-Express ist abgefahren.
Nein, überhaupt nicht. Ohne Solar-Express wären wir überhaupt nicht gestartet. Aber für die Umsetzung braucht es etwas mehr Zeit.
Aber es reicht nicht, wie ursprünglich geplant, bis Ende 2025 zwei Terawattstunden Solarstrom aus den Bergen ans Netz zu bringen.
Das ist so. Aber bereits 0,5 Terawattstunden sind äusserst wichtig für die Winterstromproduktion.
Dann braucht es eine Fristverlängerung. Wie soll diese umgesetzt werden?
Grundsätzlich trägt der Solar-Express der beschleunigten Umsetzung Rechnung. Aber die Rahmenbedingungen und das nun verabschiedete Stromgesetz lassen Raum für die ordentliche Unterstützung von Projekten, auch wenn sie länger brauchen. Es gibt also einen gangbaren Weg. Der Solar-Express selbst lässt sich aber nicht verlängern. Es wäre auch demokratiepolitisch nicht sauber, wenn man dies nun täte. Es wurde nie ein Referendum ergriffen im Wissen, dass dieser Beschluss einen Anfang und ein Ende hat.
Mittlerweile sind die meisten grossen alpinen Solarpläne redimensioniert worden. Am Anfang war es ein Wettrennen auf die Subventionstöpfe. Je grösser, desto besser.
Es war natürlich etwas Neues. Es gab nicht nur Probleme wegen möglicher Einsprachen, sondern es mussten auch technische Abklärungen getroffen werden. Im alpinen Gebiet in dieser Höhe ist es nicht ganz einfach. Auch die Zuleitungen sind eine Herausforderung. Trotzdem bin ich froh, dass man den Solar-Express gestartet hat. Nach Jahren des Stillstandes ging ein Ruck durch die Branche.
Gleichzeitig reden Sie aber auch von neuen AKWS, wie die Tamedia-Zeitungen in dieser Woche berichteten.
Das sind Spekulationen rund um Diskussionen, die im Moment laufen. Wie diese Diskussionen weiter verlaufen, ist abhängig davon, wie viel Strom wir mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien produzieren können.
Kurz zum Schluss: Schaffen wir die Energiewende?
Die Herausforderung ist gewaltig. Die Frage ist nicht, ob wir es schaffen oder nicht. Vielmehr geht es darum, heute damit anzufangen, die Grundlagen für eine zusätzliche Stromproduktion zu schaffen. Fakt ist: Darüber reden wir seit 2011 und in den letzten 13 Jahren haben wir praktisch keinen Bandstrom für den Winter dazugewonnen.