«Die Ausbauprojekte wirken sich positiv auf die Ökologie und den Klimaschutz aus»

Verkehrsminister Albert Rösti spricht im Interview mit der Weltwoche über die Engpässe auf dem Nationalstrassennetz, das wachsende Bedürfnis nach Mobilität und seine persönliche Freude, am Steuer zu sitzen.

Die Weltwoche, 09.10.2024

Interview von David Schnapp


Albert Rösti, ich würde gerne mit Ihnen übers Autofahren sprechen - aus persönlicher und politischer Sicht. Womit wollen wir beginnen?

Sehr gerne. Vielleicht fangen wir mit dem politischen Teil an, der persönliche ist einfacher. Wobei: Politisch ist es nicht kompliziert, die Frage ist nur, ob die Leute mir glauben. Weltwoche: Die letzten zwei, drei Wochen habe ich rund 2000 Kilometer auf Schweizer Autobahnen zurückgelegt.

Kurz zusammengefasst: Es lief nicht gut.

Ja, das kann ich nachvollziehen. Weltwoche: Von Zürich nach Lausanne beispielsweise und später von da ins Tessin habe ich neun Stunden gebraucht. Rösti: Das heisst, Sie haben etwa eineinhalb bis zwei Stunden im Stau gestanden. Das ist wahrscheinlich eine ziemlich repräsentative Erfahrung.

Warum ist es so schwierig, die Strasseninfrastruktur auszubauen?

An Ihrem Beispiel sieht man, dass wir einen dringenden Bedarf haben, auszubauen. Gerade auf der Strecke Zürich-Lausanne, da haben wir drei Projekte, über die wir jetzt dann abstimmen. Einige Projekte, beispielsweise Härkingen, sind auch schon genehmigt. Die Möglichkeit, dass Direktbetroffene Einsprachen machen können, macht es aber so schwierig. Das ist legitim, und ich verstehe es auch, wenn etwa Landbesitzer für die Allgemeinheit auf Grund verzichten müssen. Aber die Einsprachen verzögern viele Projekte. Das gilt im Übrigen auch für andere Infrastrukturvorhaben wie Eisenbahnen oder Stromleitungen.

Ist das Nationalstrassennetz aus den sechziger Jahren noch zeitgemäss?

Unsere Vorfahren haben ein fantastisches Netz geplant. Jetzt liegt es an uns, es an das Bevölkerungswachstum anzupassen. Man kann auch nicht pauschal sagen, dass der Ausbau schwierig ist. In den letzten zwölf Jahren hatten wir ein enormes Bevölkerungswachstum, es sind eine Million mehr Menschen im Land, und es besteht ein entsprechend grösseres Mobilitätsbedürfnis.

Trotzdem ist der Ausbau der Nationalstrassen politisch umstritten.

Wir stimmen auch deshalb über ein Referendum ab, weil das Auto jahrzehntelang als etwas gegeisselt wurde, was wegen des Klimaschutzes nicht mehr in unsere Zeit passt. Aber wenn wir in die Zukunft schauen, wird der Verkehr auf der Strasse und auf der Schiene elektrisch sein. Die Technologien sind da: mit Elektro- oder Wasserstoffautos und auch durch synthetische Treibstoffe.

Hätte ich für meine Schweizreise besser den Zug genommen?

Vielleicht hätten Sie dann einfach auf der Treppe sitzen müssen. Zumindest in den Hauptverkehrszeiten kann die Eisenbahn gar nicht kompensieren, was wir auf der Strasse zu viel an Verkehr haben. Und durch die Elektrifizierung sind Umweltargumente gegen das Auto veraltet. Aber sie sind mit ein Grund für den politischen Widerstand gegen Ausbauprojekte der Strasse. Und die Flächeneffizienz der Autobahn ist besser als jene der Schiene. Was man auch wissen muss: Insgesamt investieren wir mehr Geld in den Ausbau der Bahn als in Strassen.

Was kostet uns der Stau volkswirtschaftlich, und was verursacht der zusätzliche C02-Ausstoss durch stehenden oder stockenden Verkehr an Kosten?

Die Zahlenspielereien sind immer schwierig, aber so viel kann ich sagen: Laut einer neuen Studie der Economiesuisse ist klar, dass weniger Stau weniger C02-Ausstoss ergibt. Die Ausbauprojekte, über die wir abstimmen, wirken sich also positiv auf die Ökologie und den Klimaschutz aus. Und wirtschaftlich können wir uns den Stau schlicht nicht leisten. Die 48 000 Staustunden kosten laut Astra drei Milliarden Franken jährlich. Die jetzige Situation ist unbefriedigend, und es ist eines Landes mit diesem Wohlstand nicht würdig, wenn es die öffentliche Hand nicht fertigbringt, die notwendige Verkehrsinfrastruktur bereitzustellen.

Ein beliebtes Argument gegen den Ausbau ist, dass neue Strassen mehr Verkehr anziehen. Was entgegnen Sie?

Wir bauen gar keine neuen Strassen. Wenn man von A nach B eine neue Strasse baut, wird das Angebot genutzt, das stimmt. Was wir tun, ist aber bloss, die Kapazität zu erweitern, damit der Verkehr aus den Dörfern und von den Nebenstrassen zurück auf die Autobahnen kommt. Die heutige Situation ist auch für den ÖV belastend. Die Busse, die durch die Dörfer fahren, stehen jetzt dort im Stau. Die Agglomerationen und Städte sollten dem Ausbau zustimmen, denn dort gibt es die meisten Probleme. Darunter leiden Velofahrer, Fussgänger und der Regionalverkehr, der übrigens zur Hälfte mit Bussen bestritten wird. Das alles kann auch nicht im Interesse der grünen Wähler sein.

Einige Leute, gerade in Ihrer Partei, sprechen bereits vom bevorstehenden Kollaps auf den Nationalstrassen. Ist das zutreffend oder übertrieben?

Punktuell kommt es zum Kollaps. Auf Strecken wie Lausanne-Genf oder Zürich-Bern kann das Vorkommen, aber das gilt nicht für das ganze Strassennetz. Wir müssen aber handeln, um die Situation zu verbessern. Wenn wir beispielsweise den Fäsenstaubtunnel bei Schaffhausen nicht ausbauen können, wird die Situation dort spätestens dann kollabieren, wenn der Tunnel saniert werden muss.

Wenn es um das Bevölkerungswachstum geht, hat der Bundesrat keine so sichere Hand für Zahlen, um es vorsichtig auszudrücken. Es kommen einem die Energiestrategie von 2018 oder die Personenfreizügigkeit in den Sinn. Bei beiden Vorlagen waren Sie noch nicht im Bundesrat. Aber was macht Sie so sicher, dass der j etzt geplante Autobahnausbau ausreicht?

Man muss wissen: Wir bauen nicht auf Vorrat, sondern um heutige Engpässe zu beseitigen. Die Projekte, um die es geht, planen wir für die nächste Generation. Bis sie realisiert sind, dauert es schätzungsweise bis 2040. Und es kommen weitere Projekte. Der Bedarf wird alle vier Jahre erhoben, und dann werden die nächsten Schritte geplant.

Die Autobahnen sollen in die Breite ausgebaut werden. Manche träumen von einem Ausbau in die Höhe. Was spricht dagegen?

Das wäre kostenmässig eine sehr grosse Belastung und ist auch in Bezug auf den Landschaftsschutz heute schwierig. Wir arbeiten heute mit punktuellen Steuerungsmassnahmen: Tempo 80 bei hohem Verkehrsaufkommen oder die Nutzung des Pannenstreifens, wo dies möglich ist. Und der geplante Ausbau ist sehr gezielt und betrifft bloss 8,8 Hektar Fruchtfolgeflächen. Das ist nicht alle Welt und sicher günstiger als eine Autobahn auf zwei Etagen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass am 24. November dem Ausbau der Nationalstrassen zugestimmt wird?

Ich habe Respekt vor dieser Abstimmung, aber die Bevölkerung hat zuletzt 2016 den Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds mit grossem Mehr angenommen. Die Mehrheit fährt Auto und unterstützt den Ausbau. Die Fakten sind auf unserer Seite, die Emotionen beim Thema Auto darf man trotzdem nicht unterschätzen.

Sprechen wir über Technologie: Die Elektrifizierung des Individualverkehrs stockt, in Deutschland oder in Italien sieht man im Automobilsektor Anzeichen einer Deindustrialisierung. Ein Grund ist das CO2-Absenkprogramm und das drohende Verbrenner-Zulassungsverbot der EU. Im Energiebereich plädieren Sie für Technologieoffenheit, wie sieht es beim Auto aus?

Gegen ein Verbot von Verbrennermotoren würde ich mich wehren. Mit den erwähnten synthetischen Treibstoffen können auch Benzinautos künftig CO2-neutral gefahren werden. Ich glaube an den Fortschritt durch Technologie. Wie schnell die Elektrifizierung des Verkehrs aber stattfindet, hängt stark von den Kosten für E-Fahrzeuge ab. Es gilt ausserdem Hürden bei der Ladeinfrastruktur zu überwinden, namentlich bei Mehrparteiengebäuden. Und wir müssen die Unsicherheit bei der Stromversorgung beseitigen, deshalb sollten wir auch da auf alle Technologien setzen.

Die Autohersteller und -Importeure machen sich Sorgen: Nächstes Jahr werden die C02-Grenzwerte nochmals verschärft, aber die Kunden kaufen die entsprechenden Fahrzeuge nicht.

Wir haben den europäischen Absenkpfad in Einklang mit der Autobranche übernommen. Bis 2030 haben wir die gesetzliche Vorgabe, diesen einzuhalten. Ich möchte, dass wir das ohne zusätzliche Steuern und Abgaben erreichen. Das wird sicher noch zu Diskussionen führen. Ich wage aber die Prognose, dass auf lange Frist C02-neutrale Fahrzeuge auf unseren Autobahnen unterwegs sein werden. Wir bauen die Nationalstrassen nicht auf Vorrat, aber für die Technologien der Zukunft!

Jetzt doch noch eine persönliche Frage: Wie hat sich Ihre Perspektive auf Land und Leute verändert, seit Sie im Auto meistens hinten rechts und nicht mehr am Steuer sitzen?

Eigentlich gar nicht. Am Anfang habe ich es etwas vermisst, selbst am Steuer zu sitzen, weil ich sehr gerne Auto fahre. Ich bin jedoch froh um die Zeit, die ich gewinne, wenn jemand anderes fährt.

Aber Sie sehen weniger von der Umgebung.

Ja, das stimmt. Man merkt erst am Ziel, dass man an einem ganz anderen Ort angekommen ist.

Wann sind Sie das letzte Mal selbst gefahren?

Gestern, aber ich hatte gerade eine Woche Ferien. (lacht)

Sie sind Mitglied der Regierung, aber im Auto hat meistens ein anderer das Steuer in der Hand.

Es heisst zu Recht: Wer führt, fährt nicht; wer fährt, führt nicht. Das habe ich als Motorfahrer in der Armee gelernt. Als Parteipräsident habe ich beides gemacht, das ist nicht optimal. Man ist zu oft am Telefon oder in Gedanken. Einen Chauffeur zu haben, ist zwar ein Luxus, aber das ist wertvoll, um die eigenen Kapazitäten richtig zu nutzen.

Wie oft stehen Sie als Bundesrat im Stau?

Zum Glück nicht so viel, weil ich einen ausgezeichneten Chauffeur habe, der gut plant. Und sonst nehme ich den Zug. Ich versuche immer mit dem zur Situation passenden Verkehrsmittel unterwegs zu sein. Ich gebe aber zu, es hat mit dem Auto auch schon drei Stunden gedauert, von Bern nach Zürich zu gelangen.

Wie schätzen Sie, gesellschaftlich gesehen, die Bedeutung des Individualverkehrs ein?

Das ist der Inbegriff von Freiheit. Ich plädiere dafür, dass man das Verkehrsmittel wählen kann, das einem am besten passt. Das ist ein wichtiger politischer Grundsatz. Wie ich auch über mein Essen selbst entscheiden will.

Diese Sicht scheint nicht mehr so selbstverständlich zu sein.

Es gibt die ganz andere Sicht, dass man den Bürgern aufgrund übergeordneter Ziele vorschreiben will, wie sie zu leben haben. Aber der Staat muss für die Leute da sein, nicht umgekehrt.

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