«Prioritär ist, möglichst schnell mehr Strom zu produzieren»

Bundesrat Albert Rösti äussert sich im Interview mit der Schweiz am Wochenende zur Energiezukunft.

Schweiz am Wochenende, 01.04.2023
Interview: Benjamin Rosch und Patrik Müller


Im Parlament sagten Sie kürzlich: «Da ist Bundesrat Rösti gegenüber Nationalrat Rösti intelligenter geworden.» Wird man, wenn man im Amt ist, innert weniger Tage intelligenter?

Das war ein Spruch, auch im Parlament soll man zwischendurch mal schmunzeln dürfen. Die ernsthafte Formulierung wäre wohl: «Der neue Antrag war besser.»

Intelligenz schadet sicher auch in der Politik nicht.

Nun gut, ich muss mit dem leben, was ich habe (lacht). Ich kenne meine Grenzen.

Wo liegen denn Ihre Grenzen?

Ich ging mit Thomas Zurbuchen ans Gymnasium. Er brachte es zum Nasa-Forschungsdirektor. Das sagt über uns beide etwas aus.

War er eher der naturwissenschaftliche Typ und Sie der sprachliche Typ?

Nein, ich war vor allem eines: Ein eher mittelmässiger Schüler. Im Studium hat sich das dann geändert.

Das heisst, Ihre Intelligenz stieg schon vor dem Bundesratsamt stetig an… Würden Sie sich heute eher als Kopf- oder Bauchgesteuert bezeichnen?

Es ist eine Mischung. In der Politik muss man zuerst eine gute Auslegeordnung machen können: Lagebeschreibung, Analyse, Vor- und Nachteile. Da ist der Kopf gefragt. Danach kommen Güterabwägungen. Dafür braucht es den Bauch, oder präziser gesagt: Den politischen Instinkt.

Was sagt Ihnen der Instinkt: Wie gut hat Sie der Bundesrat aufgenommen?

Nach meinem Eindruck sehr gut. Wir haben soeben gemeinsam eine enorm herausfordernde Situation bewältigt: Die Krise der Credit Suisse. Ich erlebte die Diskussionen als ebenso offen wie kritisch - im Sinn der besten Lösung.

Welches Gefühl herrschte vor: Sorge oder Wut?

Enttäuschung. Darüber, dass es mit der CS so weit kommen konnte. Aber natürlich auch grosse Sorge und Anspannung: Die Analyse der Zahlen war eindeutig. Ich habe zwar eine C-Matur, aber die wäre nicht nötig gewesen, um zu erkennen: Was da abgeht, das war existenziell. Es war klar: Ohne Lösung haben wir am Montag das Ende der CS und dazu nicht nur eine Finanzkrise in der Schweiz, sondern weltweit. So etwas hätten wir uns niemals leisten können.

Ist man da als Bundesrat nicht zwangsläufig überfordert? Man sitzt mit ausgebufften Bankern am Tisch, die seit Jahren in diesem Business sind.

Nach meinem Eindruck waren eher andere überfordert…

Die CS-Verantwortlichen?

Man kann sich schon fragen, wie so viele Fehler gemacht werden konnten. Und das trotz warnendem Beispiel der UBS 2008. Trotz Too-big-to-fail-Gesetz, aus dem die Bank nicht die nötigen Konsequenzen zog.

Aber Sie fühlten sich nicht überfordert?

Gefordert, aber nicht überfordert. Der Bundesrat muss in der Lage sein, aufgrund des vorhandenen Wissens die richtigen Schlüsse zu ziehen. Es gab Unterstützung durch die Nationalbank, die Finanzmarktaufsicht, das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen und weitere Expertinnen und Experten aus der Verwaltung. Der Bundesrat hat sich zudem schon seit längerem mit Optionen befasst. Federführend war das Finanzdepartement, aber letztlich tragen wir alle die Verantwortung mit. Jeder Bundesrat muss den Mut haben, Fragen zu stellen. Ich wollte verstehen, was da läuft und was wir beschliessen.

Und was dabei herauskam, dahinter können Sie stehen?

Voll und ganz. Die CS-Übernahme durch die UBS war in dieser Situation die beste Lösung. Sie ist solide und schafft Vertrauen. Eine Übernahme durch den Bund wäre allenfalls die zweitbeste Variante, aber mit vielen Risiken für den Bund verbunden gewesen, und ob dadurch die Märkte das Vertrauen in die CS zurückgewonnen hätten, das weiss ich nicht. Abgesehen davon kann der Staat keine Bank führen.

Intensiver hätte Ihre Startphase nicht sein können. Finden Sie noch Zeit für Ihre Familie – und für Ihre Mutter, deren strahlendes Gesicht am Tag nach Ihrer Wahl in allen Zeitungen war?

Unbedingt. Ich besuche meine Mutter nach Möglichkeit jedes zweite Wochenende. Sie ist über 90 Jahre alt. Das Leben ist endlich. Gemeinsame Momente sind mir persönlich sehr wichtig. Und klar, sie ist stolz auf mich, aber nicht mehr als auf meine Geschwister.

Sie sprachen von einem guten Betriebsklima. Aber just bei den Sparmassnahmen bei der AHV gab es diese Woche wieder ein Leak…

Ich kann nur für mich reden: Ich machte in meinen Ämtern gleich am Anfang klar, dass Indiskretionen ein No-Go sind. Den erwähnten Fall finde ich sehr bedauerlich, und der Gesamtbundesrat hat gesagt, das muss angezeigt werden, das ist inakzeptabel.

Die «Schweiz am Wochenende» machte Anfang Januar publik, dass es aus dem Departement Berset während der Coronapandemie systematische Indiskretionen zu Ringier gab. Lässt sich das Vertrauen einfach wieder herstellen?

Das geht nicht von selbst. Vertrauen muss jeder selber herstellen. Der Bundesrat hat professionell gehandelt, indem er die Situation verurteilt hat. Mehr kann ich nicht sagen, ich war zur Zeit der Corona-Leaks noch nicht im Amt.

Die Energiepolitik ist nun Ihr wichtigstes Thema. Wie schwer fällt Ihnen der Rollenwechsel vom Parteipolitiker zum Bundesrat?

Gar nicht! Ich habe schon als Nationalrat die aktuellen Energiethemen in der Kommission mitgestaltet. Ich war schon vor der Wahl überzeugt, dass es für die Energieversorgung jetzt diesen Zubau braucht. Es ist relativ einfach: Wir brauchen in der Schweiz mehr Strom, sonst laufen wir gegen die Wand. Da gibt es auch keine Differenz zu meiner Partei.

Das ändert sich bei der Referendumsabstimmung über das Klimaschutz-Gesetz vom Juni. Sie sassen einst im Referendumskomitee, nun müssen Sie gegen die SVP die Ja-Parole vertreten.

Das gehört dazu. Ich werde darlegen, was das Positive an diesem Gesetz ist und warum es der Bundesrat unterstützt.

Wenn Sie es zu deutlich tun, werden Sie zum halben SVP-Bundesrat?

Was da alles geschrieben wird, ist mir ziemlich egal. Ich habe einen klaren Auftrag, die Stromversorgung und Infrastrukturen sicherzustellen. Hier geht es vielfach auch um Gesetze der Physik. Die lassen sich nicht aushebeln.

In der AKW-Frage wünscht sich die SVP von Ihnen mehr Engagement...

Prioritär ist, möglichst schnell mehr Strom zu produzieren. Das erreichen wir nur mit Wasser, Wind, Sonne und Biogas. Ich will mich nicht verlieren in einer Diskussion, die den kurzfristigen dringend notwendigen Zubau bremsen könnte. Für die langfristige Versorgungssicherheit setze ich mich für Technologieoffenheit ein.

Es geht auch darum, die aktuellen Energiequellen zu bewahren. Was wäre, wenn beim AKW Leibstadt eine Renovation über 300 Millionen anstünde? Würde der Bund investieren?

Dann würde ich den Betreiber auf die die Gewinne des letzten Jahres aufmerksam machen. Eine staatliche Hilfe für eine Nachrüstung wäre nach meiner Einschätzung nicht nötig.

Was tun Sie, wenn der nächste Winter kälter wird als der letzte? Droht eine Mangellage?

Zunächst sind Sparmassnahmen für Strom und Gas weiterhin sinnvoll – auch für das Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger. Dann werden wir gegen Mitte Jahr eine Ausschreibung für weitere Reservekapazitäten machen. Und auch die Akquisition für das Pooling von Notstromaggregaten geht weiter. Bislang haben wir damit eine Reserve von 110 Megawatt Leistung, das wollen wir verdoppeln. Ausserdem ist denkbar, dass wir die Wasserkraftreserve erhöhen.

Was sich verflüchtigt hat, ist die Hoffnung auf Hilfe aus dem Ausland gegen eine Gasmangellage. Braucht die Schweiz mittelfristig eigene Gasspeicher?

Das wäre sehr teuer. Die Gasbranche ist verpflichtet, sich mit Reserven einzudecken. Wo diese stehen, ist aber zweitrangig. Wir sind aber laufend im Austausch mit unseren Nachbarn.

Zum Symbol für die Mangellage wurde das Gaskraftwerk Birr. Es gibt Stimmen, die sagen, das werde nie laufen. Braucht es das wirklich?

Unbedingt! Birr hat eine Leistung von 250 Megawatt. Hier muss ich auch meiner Vorgängerin ein Kränzchen winden, dass sie zusammen mit dem Bundesrat diese einzig richtige Massnahme ergriffen hat. Es braucht zudem weitere Reservekapazitäten im Hinblick auf die neuen Regulierungen der EU.

Wie meinen Sie das?

Aktuell ist der Austausch sehr gut. Aber nehmen wir an, dass die Schweiz ab 2025 aufgrund neuer EU-Regelungen im Winter weniger Strom importieren könnte, dann müssten die Reservekraftwerke helfen, den Winter zu überbrücken. Ab diesem Zeitpunkt müssen die EU-Länder 70 Prozent ihrer Kapazitäten für den Binnenmarkt bereithalten. Bis jetzt steht nirgends, wie genau die Schweiz davon betroffen sein wird, aber die Situation ist labil.

Braucht es ein Stromabkommen mit der EU?

Das braucht es, aber wir werden kaum bis 2025 eines haben. Ob es Verhandlungen mit der EU gibt oder nicht, hängt vom Erfolg der aktuellen Sondierungsgespräche ab. Sollte es ein institutionelles Rahmenabkommen geben, wollen wir den Strom mit drin haben, das ist klar. Aber bis es so weit ist, müssen wir bereit sein, Reserven einzusetzen. Hier spielt Birr eine wichtige Rolle und weitere Reservekraftwerke, die wir ausschreiben werden.

Sie planen weitere, neue Kraftwerke?

Mitte Jahr werden wir weitere ausschreiben, ja. Die neuen Kraftwerke sollen möglichst 2025 oder 2026 ans Netz gehen. Die Bedingung dafür ist, dass die Anlagen sowohl mit fossilen wie mit erneuerbaren Energieträgern laufen können. Es gibt vier, fünf grosse Unternehmen, die diese Aufgabe übernehmen können.

Das sind Neuigkeiten. Wo werden die neuen Kraftwerke stehen?

Über die Standorte werden die Betreiber entscheiden, nicht der Bund. Der Bundesrat hat bereits in seiner Botschaft zur Energiestrategie von notwendigen Reservekraftwerken gesprochen. Dann kam die Phase der Unehrlichkeit, und niemand sprach mehr davon.

Sie sind nicht nur Energieminister, sondern auch Schirmherr der bundesnahen Betriebe. Wie sind die Ziele von Postminister Rösti für einen Betrieb, der seine Geschäftsfelder konstant ausbaut?

Postminister wäre zu hoch gegriffen. Der Bundesrat greift nicht in operative Belange ein, sondern definiert die Strategie. Was man überprüfen muss, ist die Strategie von solchen Akquisitionen. Dazu läuft bei der Post eine Evaluation, die wir selber überprüfen. Aber es ist klar, wir wollen eine möglichst flächendeckende Grundversorgung und dafür muss die Post Geld erwirtschaften.

Zur Post gehört auch die PostFinance. Diese Woche hat SP-Co-Präsident Cédric Wermuth gefordert, dass diese gestärkt wird, gewissermassen als Kantonalbank für den Bund, mit einem kompletten Angebot. Damit soll sie als Konkurrenz zu einer riesigen UBS erwachsen.

Wir wollen natürlich nicht die PostFinance aufblasen, um am Ende ein zusätzliches Bundesrisiko zu erhalten. Aus diesem Grund haben wir ja die Verstaatlichung der Credit Suisse abgelehnt.

Sie sind ja auch noch Medienminister und haben die Oberaufsicht über die SRG. Gleichzeitig sind Sie auch im Initiativkomitee der Halbierungsinitiative, welche die SRG ins Visier nimmt, oder?

Ich habe schriftlich den Austritt gegeben. Allerdings hat man mir gesagt, juristisch sei dies nicht möglich. Man bleibe im Komitee bis zur Abstimmung, aber das ist natürlich reine Formsache. Inhaltlich äussere ich mich nicht zu einer Initiative, die noch nicht eingereicht ist.

Hatten Sie denn bereits Zeit, sich um die Medienpolitik zu kümmern?

Dadurch, dass einerseits diese Initiative noch nicht eingereicht und andererseits das Mediengesetz an der Urne verworfen wurde, war die Medienpolitik bislang nicht erste Priorität. Wichtig ist, dass es einen Service public und eine Medienvielfalt gibt. Aber kurzfristige Staatshilfe für Medien wird es nicht geben.

Wie nehmen Sie die Schweizer Medienvielfalt wahr?

Die Konzentration ist stark fortgeschritten. Aber wo es grössere Zusammenschlüsse gibt, tun sich auch wieder Lücken auf: in Form von lokalen Gratiszeitungen, aber auch bezahlten Angeboten. Solche müssten in einer zukünftigen Strategie ebenfalls vorkommen. Diese Vielfalt braucht es. Und die neutrale Rolle muss das SRF wahrnehmen.

Ist das SRF neutral aus Ihrer Sicht?

Das möchte ich nicht mit Ihnen besprechen, sondern mit dem SRF.

Um noch etwas allgemeiner zu werden: Christoph Blocher hat einmal gesagt, ein Bundesrat ist zu 50 Prozent Departementschef und zu 50 Prozent muss er sich um das Gesamte kümmern. Welche grossen Linien verfolgen Sie in der Landesregierung?

Für mich persönlich ist die Europapolitik sehr wichtig, eine Schuldenbremse ebenfalls. Neutralität, Sicherheit: Das sind die Themen, welche die Schweiz ausmachen. Hier möchte ich mich im Bundesrat einbringen.

Ist die Schweiz noch neutral?

Ich bin stolz, hat der Bundesrat die Wiederausfuhr von Waffen abgelehnt. Ich weiss, das wird international scharf kritisiert. Aber es war ein wichtiges Bekenntnis zur Neutralität. Und hinter den Kulissen wird dies international auch verstanden.

Und nehmen Sie einen «Kriegsrausch» wahr, wie Bundespräsident Alain Berset?

Ich finde es nicht gut, Waffen weiterzugeben. Aber ich würde das nicht mit einem spezifischen Wort emotionalisieren, und der Bundespräsident hat dies auch selber im Nachhinein als falsche Wortwahl kommentiert.

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